von Rana Göroglu und Karin Heisecke, MaLisa Stiftung
Initiativen und Gruppen wie Pro Quote Medien, Pro Quote Film oder der Journalistinnenbund haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, die Unterrepräsentation von Frauen als Medienschaffende stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Veränderungsprozesse anzuregen. Die MaLisa Stiftung widmet sich seit ihrer Gründung 2016 vor allem den Unterschieden in der Repräsentation der Geschlechter in den Inhalten audiovisueller Medien. Als Ausgangspunkt für unsere Arbeit für mehr Diversität initiieren wir Studien, um auf der Grundlage solider Daten Lösungsansätze zu identifizieren.
Bereits unsere erste Untersuchung zur audiovisuellen Diversität von 2017 belegte, dass Frauen im deutschen Film und Fernsehen deutlich unterrepräsentiert sind, nach dem 30. Lebensjahr sukzessive vom Bildschirm verschwinden und nur selten als Expertinnen zu Wort kommen. Auch unsere jüngsten Studien zur Corona-Berichterstattung und zu Geschlechterdarstellungen und Diversität in Streaming-Angeboten von 2020 sowie zur audiovisuellen Diversität im deutschen TV von 2021 zeigen: Von einer realistischen und vielfältigen Darstellung und Rollenverteilung, die dem tatsächlichen Anteil in der Gesellschaft entspricht, sind wir noch weit entfernt.
Von den Befunden zu den Lösungsansätzen
Gemeinsam mit unseren Partner*innen aus Branche, Zivilgesellschaft und Wissenschaft erarbeiten wir Lösungsansätze und unterstützen ihre Umsetzung. Manchmal braucht es längere Prozesse, um von den Befunden zu einer gerechteren Teilhabe und Sichtbarkeit zu kommen. Manchmal kann das aber auch Hand in Hand gehen und in erstaunlicher Geschwindigkeit erreicht werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das 50:50-Equality Project der BBC, das auf Eigeninitiative des Journalisten und Nachrichtenmoderators Ros Atkins hin entstand.
Atkins trieb um, wie gering der Frauenanteil in seiner und anderen BBC-Sendungen war. So startete er Anfang 2017 eine Aktion in seiner Londoner Redaktion Er schlug vor, auf freiwilliger Basis die Geschlechterverteilung der Personen, die zu Wort kommen, zu zählen. Die Idee dahinter: Die Befunde direkt vor sich zu haben schafft Bewusstsein für die Unterrepräsentation weiblicher Mitwirkender und motiviert seine Kolleg*innen, dies zu ändern. Er nannte das Projekt 50:50 und es zeigte bereits nach kurzer Zeit Erfolg: In Atkins‘ Redaktion stieg der Anteil weiblicher Mitwirkender an den Berichten innerhalb von vier Monaten von unter 40 auf 50 Prozent. Bald machten andere Teams mit und tauschten ihre Daten aus. So war ein freiwilliger Wettbewerb entstanden: die 50:50-Challenge.
Die Initiative wurde von Beginn an von der BBC-Generaldirektion unterstützt und ist zu einem wichtigen Aushängeschild des Public Broadcaster geworden. Mittlerweile nutzen laut BBC 670 Teams aus allen Sparten das 50:50 Monitoring, dessen Stand die Rundfunkanstalt regelmäßig veröffentlicht. Dem aktuellen Bericht zufolge lag der Anteil weiblicher Mitwirkender an den Inhalten in fast drei Viertel der Datensätze, die für März 2021 eingereicht wurden, bei mindestens 50 Prozent. Zudem sei im Vergleich zu den beiden vorherigen Auswertungen erstmals kein Team, dass im März 2021 eine Auswertung der letzten sechs Monate einreichte, unter die Marke von 40 Prozent Frauenanteil in den Berichten gefallen.
Von der Eigeninitiative zum internationalen Netzwerk
Den Schlüssel zum Erfolg sieht Initiator Atkins unter anderem darin, dass das Projekt einfach und freiwillig ist und misst, was die Medienschaffenden selbst kontrollieren können. Zu einem ähnlichen Befund kommen Wissenschaftlerinnen, die das Projekt untersucht haben. Mittlerweile hat es sich weit über die BBC hinaus verbreitet: Über 100 Institutionen aus 26 Ländern sind Teil des globalen 50:50-Netzwerkes. Darunter sind viele öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, aber auch private Medien, Journalist*innenschulen, Universitäten und Unternehmen.
Im „BBC 50:50 Impact Report 2021“ sind erstmals Zahlen zu den internationalen Partnerorganisationen enthalten. Von den rund 40 Institutionen, die Datensätze zur 50:50 Challenge einreichten, konnte demnach rund die Hälfte einen Frauenanteil von mindestens 50 Prozent aufweisen.
Auch Sender in Deutschland haben sich mittlerweile dem BBC 50:50 Equality Project angeschlossen und sich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in ihren Sendungen zum Ziel gesetzt. Dazu gehören der Bayerische Rundfunk, die Deutsche Welle, der rbb und der SWR.Letzterer gab im Sommer 2021 als erste Landesrundfunkanstalt in der ARD bekannt, eine senderweite 50:50 Challenge zu starten, um den Frauenanteil in den Fernseh-, Hörfunk- und Online-Formaten zu erhöhen.
Von der Geschlechterverteilung zum Monitoring weiterer Vielfaltsfaktoren
Im Oktober 2020 kündigte die BBC an, das 50:50 Monitoring auf die Sichtbarkeit von „ethnischer Diversität“ und Behinderung auszuweiten. Damit soll das Ziel der Rundfunkanstalt unterstützt werden, 50 Prozent Frauen, 20 Prozent „black, Asian and minority ethnic“ (BAME) sowie 12 Prozent Menschen mit Behinderung auf dem Bildschirm, im Fernsehen und in Hauptrollen in allen Genres zu repräsentieren. Mehr als 220 Teams haben sich laut BBC bereits verpflichtet, dieses erweiterte Monitoring zu nutzen.
Wohlgemerkt zielen Maßnahmen wie das 50:50 Equality Project hinsichtlich der „Vielfalt in den Medien“ nur auf einen Aspekt ab: eine gerechtere Repräsentation marginalisierter Gruppen als Hauptakteur*innen von Medienberichten und -produktionen. Um ihren Machtanteil zu erhöhen, Gehaltsunterschiede auszumerzen und stereotype Darstellungen in den Inhalten zu überwinden, bedarf es weiterer Maßnahmen. Projekte wie das der BBC können jedoch ein wichtiger erster Schritt sein, um ein Bewusstsein für Benachteiligungen zu schaffen und Veränderungsprozesse anzuregen.
Karin Heisecke ist Leiterin der MaLisa Stiftung, die sich für gesellschaftliche Vielfalt und die Überwindung einschränkender Rollenbilder in Medien und Kultur einsetzt. Sie ist Expertin für Geschlechterfragen und seit mehr als zwei Jahrzehnten mit internationalen Organisationen und in Deutschland zu diesem Themenfeld in der Kommunikation, Politikberatung und -umsetzung tätig.
Rana Göroglu ist Referentin für Kommunikation und Projekte bei der MaLisa Stiftung. Zuvor war sie als Redakteurin, geschäftsführende Leiterin und Projektkoordinatorin beim Mediendienst Integration tätig und hat als Journalistin für Radio-, TV-, Print- und Online-Medien gearbeitet. Die Vielfalt im Einwanderungsland und die Wissensvermittlung an der Schnittstelle von Forschung, Medien und Zivilgesellschaft sind zentrale Schwerpunkte ihrer Arbeit.