Von Christian Baron
Eigentlich hatte ich mit dem Journalismus schon abgeschlossen, bevor es mit ihm losgegangen war. Nach nur einem Jahr an der Universität gestand ich mir ein, dass ich mit den Kommilitonen mit dem gleichen Berufsziel nicht mithalten konnte. Es dauerte lange, bis mir klar wurde, dass das nicht nur an persönlichen Defiziten lag, sondern auch strukturelle Ursachen hatte. In meiner Familie bin ich der Erste, der Abitur gemacht und studiert hat.
Wenn Chefredaktionen neue Auszubildende suchen, dann achten sie genau darauf, ob die Bewerber:innen schon in der Jugend bei der Schüler- oder Lokalzeitung mitgearbeitet und das bis ins Erwachsenenalter auch ohne Brüche durchgezogen haben. Wer Journalist:in werden will, muss den Wunsch also schon früh gespürt haben. Wer, wie ich, in einem Elternhaus ohne Bücherwände und Zeitungsabos aufwächst, spürt diesen Drang meist später als Menschen, die spielerisch mit kulturellem Kapital beschenkt wurden.
Die meisten Journalist:innen sind Kinder von Akademikereltern
Schon während des Studiums muss man Beiträge in Medien unterbringen. Wer sich das Studium mit Aushilfsjobs finanzieren muss, weil ihn die Eltern nicht unterstützen können, wird das kaum über eine Tätigkeit als freie:r Mitarbeiter:in bei einer Zeitung tun können. Dort werden niedrige Honorare gezahlt; der Zeiteinsatz ist hoch. Auch Auslandsaufenthalte sind den Auswahljurys wichtig. Noch wichtiger ist im Bewerbungsprozess die Anzahl der Redaktionspraktika, die unbezahlt sind oder minimal vergütet werden.
Da verwundert es nicht, dass in Deutschland überwiegend jene im Journalismus arbeiten, deren Eltern studiert haben. In ihrer Doktorarbeit „Habitus, Herkunft und Positionierung“ (2012) hat die Sozialwissenschaftlerin Klarissa Lueg die soziale Herkunft der Journalist:innen in Deutschland erforscht. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel weisen eine privilegierte soziale Herkunft auf und haben Eltern, die als Beamte oder Angestellte mit Hochschulabschluss im gehobenen bis sehr gehobenen Dienst tätig (gewesen) sind.
Der Politikwissenschaftler Peter Ziegler hat 2013 für die Friedrich-Ebert-Stiftung das Selbstverständnis und die Herkunft des journalistischen Nachwuchses untersucht. Seine Studie zu Journalistenschulen kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Bei den Berufen der Eltern der Befragten dominiert der Beamte. Der Beruf des Arbeiters kommt bei den Vätern kein einziges Mal, bei den Müttern selten vor.“ Sie gleichen den Jurys, so Ziegler, vor allem in ihrem Habitus: „Souveränes Auftreten, ähnliche Lebensläufe mit frühen journalistischen Ambitionen führen zur gleichen Chemie zwischen Aspirant und Auswahlkommission.“
Um den Zugang zu verbessern, müssen sich die Grenzen der Klassengesellschaft öffnen
Als in mir nach dem Ende des Studiums doch noch einmal der Wunsch aufkam, Journalist zu werden, bewarb ich mich um Volontariate. Ich erhielt nur Absagen. Drei Jahre später, im Jahr 2014, versuchte ich es erneut. Jetzt war ich vorbereitet: Ich hatte alle Studien zum Thema gelesen. Beinahe wahllos schickte ich eine Mappe nach der anderen in die Schreibstuben der Republik. In meinem Motivationsschreiben stellte ich meine soziale Herkunft offensiv heraus. Und: Es funktionierte!
Auf meine 30 Bewerbungen erhielt ich zehn Einladungen und satte fünf Jobangebote. Jedes Mal zeigte sich, dass die Chefredaktionen hofften, ich könne durch meinen ungewöhnlichen Blickwinkel die Qualität der Zeitung steigern. Mir drängte sich der Eindruck auf: Gerne würden viele Redaktionen mehr Arbeiterkinder einstellen; es mangelt einfach an jenen, die den langen Marsch bis zur qualifizierten Bewerbung durchstehen.
An diesen Zugangsbarrieren lässt sich nur etwas ändern, wenn sich die Grenzen der Klassengesellschaft öffnen. Fürs Erste wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Chefredaktionen von der Fixierung auf das Universitätsdiplom lösen würden. Warum sollte nicht auch Volontär:in werden können, wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat? Kämen außerdem mehr Chefredakteur:innen und Ressortleiter:innen von „ganz unten“, dann ergäbe sich daraus eine andere thematische Schwerpunktsetzung in den Zeitungen und Sendungen.
Es würde nicht mehr, wie bislang, entweder abstrakt nur mittels Zahlen über „die da unten“ berichtet oder aber oft so herablassend, als bestaune man Tiere im Zoo. Im besten Fall würden sich sogar nicht nur mehr Menschen repräsentiert fühlen, sondern die klassischen Medien als „vierte Gewalt im Staat“ auch selbst wieder stärker nutzen.
Christian Baron ist Redakteur bei der Wochenzeitung „Der Freitag“ und Buchautor. 2016 veröffentlichte er „Proleten, Pöbel, Parasiten“, ein Sachbuch über die Entfremdung der Linken von der Arbeiterklasse. 2020 folgte das autobiographische Buch „Ein Mann seiner Klasse“. Im Frühjahr 2021 erscheint der von ihm herausgegeben Sammelband „Klasse und Kampf“. Foto: Britta Steinwachs