Von Tina Groll
Immer mehr Menschen misstrauen den Medien. Und es sind nicht nur die Ewiggestrigen. Ein Grund: In den meisten Redaktionen dominiert die weiße Mittelschicht. Zwar gibt es mittlerweile etwas mehr Frauen als vor 20 Jahren, ja sogar an der Spitze in homöopathischen Dosen, aber dies zu erreichen glich einem Ritt auf einer Schnecke.
Ansonsten herrscht Eintönigkeit, rekrutiert wird schließlich auch im Journalismus nach dem Ähnlichkeitsprinzip. Das führt dazu, dass männliche weiße Chefredakteure, die aus Mittelschichtsfamilien stammen, männliche, weiße Nachwuchstalente mit ähnlicher Herkunft fördern. Manchmal ist jetzt, hallo Pink-Washing, auch eine Frau dabei, aber eine weiße oder wenigstens hellhäutige.
Doch das hat Folgen: Themen werden vor allem unter der ohnehin schon vorherrschenden Perspektive diskutiert. Da reden die Alphamänner und Quotenfrauen, da darf der talentierte Nachwuchs mal einen Gastauftritt haben.
Spielregel Nummer 1 für eine Karriere im Journalismus ist und bleibt: Befördert wird, wer sich sprachgewandt und mit dem richtigen Habitus Gehör und Geltung verschafft. Dass dabei viel zu selten Stereotype wirklich hinterfragt werden, dass da Stimmen fehlen, ist egal. Am Ende findet man noch immer eine:n Protagonist:in, der:die zu These und Story passt und damit die Bestätigung, dass die Wirklichkeit da draußen genauso ist, wie man es in der Redaktionskonferenz bereits diskutiert hat.
Doch dass die Medien so einen auf Bruchstücke runtergebrochenen Holzschnitt der zu komplexen Wirklichkeit da draußen drucken, senden, veröffentlichen – das ahnen zwar viele, wirklich ändern wollen es aber zu wenige. Warum auch? Wer es auf einen der umkämpften Plätze in einer Redaktion schafft, womöglich festangestellt und noch tariflich bezahlt, der setzt das doch nicht aufs Spiel, nur damit vermeintliche Randgruppen öfter berücksichtigt werden.
Doch bei vielen Menschen kommt dieser Journalismus nicht mehr an. Es sind nicht nur jene, die längst an Fake News und Rechtspopulisten verloren sind, es sind auch die, deren Perspektive meistens untergeht, weil zu oft Zerrbilder über sie produziert und reproduziert werden. Das sollte uns Medienschaffenden zu denken geben.
Wollen wir einen Journalismus, der seine demokratische Funktion erfüllt, Wirklichkeit abzubilden und alle gesellschaftlichen Gruppen zu berücksichtigen, dann müssen Redaktionen diverser werden. Das erfordert einen strukturellen Wandel. Auswahlprozesse und Aufstiegschancen in den Medien müssen radikal verändert werden, und das wird für viele schmerzhaft sein. Denn dazu müssen die heute Privilegierten Macht abgeben.
Als Gewerkschaft wissen wir: Verteilungskämpfe organisiert man nicht allein, das erfordert Mut, Entschlossenheit und Solidarität von vielen. Und darum setzt sich die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion in ver.di (dju) für mehr Vielfalt in den Medien ein.
Tina Groll ist Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di. Hauptberuflich arbeitet sie als Redakteurin für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei ZEIT ONLINE und schreibt über Arbeit & Soziales.
Foto: Julia Krüger Photography