Parteien bürgern Migrant*innen ein, um eigene Wählerschaft „zu erhöhen”

 

Das Narrativ 

Parteien wie SPD oder Bündnis 90/Die Grünen würden das Einbürgerungsrecht lockern, um den Kreis der Wahlberechtigten gezielt auszuweiten und damit mehr Wählerstimmen zu erhalten.

 

Die Argumentation

Menschen, die wenig über Deutschland und die deutsche Politik verstünden, würden gezielt eingebürgert, um damit die Wahl zu manipulieren. Neu Eingebürgerte würden ihre Wahlentscheidung nicht nach den Inhalten einer Partei richten, sondern die Parteien wählen, die ihre eigene Einbürgerung ermöglicht haben oder noch weitere Zuwanderung aus ihren Heimatländern nach Deutschland ermöglichen.

Als vermeintlichen Beleg für diese Behauptung wird auf die verabschiedete Reform des Einbürgerungsrechts verwiesen, die die Einbürgerung vereinfachen soll.

Verbreitet wird hierbei die Behauptung, dass Parteien wie SPD und Bündnis 90/Die Grünen durch die Einbürgerung von Migrant*innen die Wählerschaft „de-rationalisieren“ würden. Mit De-Rationalisierung ist gemeint, dass die eingebürgerte Wählerschaft nicht in der Lage sei, rationale Wahlentscheidungen zu treffen, und stattdessen Parteien wähle, die keine „vernünftige Politik“ führen. Mit „vernünftige Politik“ wird in diesem Narrativ eine Politik verbunden, die Migration sowie Klimaschutzmaßnahmen ablehnt. Es wird im Umkehrschluss davon ausgegangen, dass rational handelnde Bürger*innen nicht die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen wählen würden.

 

Keywords, die ein Hinweis auf das Narrativ sein können

‘Ampel muss weg’ I ‘Standards für deutschen Pass’ I ‘Hände weg von der Staatsbürgerschaft’

 

Gegenargumente

Für die Behauptung, dass Parteien Einbürgerungen erleichtern würden, um damit das Wahlergebnis zu manipulieren, gibt es keinerlei Belege. Genauso wenig belegen lässt sich die Behauptung der bewussten „De-rationalisierung“ der Wählerschaft.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 168.775 Einbürgerungen verzeichnet, was lediglich 3,1 Prozent der seit mindestens zehn Jahren in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen entspricht - ein vergleichsweise geringer Anteil.1 Ob die Einbürgerungszahlen durch die Anfang 2024 verabschiedete Reform des Staatsangehörigkeitsrecht steigen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Die Reform ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen, dass Menschen in Deutschland schneller eingebürgert werden können und damit auch wahlberechtigt sind.2 Die Wahlentscheidung neu eingebürgerter Menschen lässt sich ebenfalls nicht vorhersehen.

Die genauen Gründe, aus denen migrantische Gruppen bestimmte Parteien wählen, sind aufgrund unzureichender Datenlage größten- teils unklar. Besser untersucht sind hingegen Parteipräferenzen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Lange galt, dass ehemalige Gastarbeiter*innen und ihre Nachkommen dazu tendierten, die SPD zu wählen, während Spätaussiedler*innen eher zur CDU/CSU neigten.3 Aktuellere Studien zeigen jedoch, dass diese alten Parteibindungen teilweise abnehmen und eine höhere parteipolitische Mobilität zu beobachten ist - ein Trend, der sich generell in der Wahlverhaltensforschung zeigt.4

Abgesehen davon gibt es allgemeine Faktoren, die das Wahlverhalten unabhängig von der Herkunft beeinflussen. Dazu zählen langfristige Parteibindungen, die Vorliebe für bestimmte Kandidat*innen, politische Programme, die Bewertung der Regierungsleistung sowie soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung und Religionszugehörigkeit.5

 

Ausführlichere Informationen zur politischen Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte Mediendienst Integration

Weitere Studien zum Wahlverhalten von Menschen mit Migrationsgeschichte 

Universität Duisburg-Essen

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration

 


Statistisches Bundesamt (2023): Einbürgerungen nach bisheriger Staatsangehörigkeit, Einbürgerungen insgesamt und ausgeschöpftes Einbürgerungspotential (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Bundesministerium für Inneres und Heimat (2023): Fragen und Antworten: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Andreas M. Wüst (2003): Das Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland in „APuZ aus Politik und Zeitgeschichte”, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung (zuletzt aufgerufenam 04.04.2024)

Jannes Jacobsen und Martin Kroh (2021): Eingewanderte bauen nur schrittweise Bindungen an Parteien in Deutschland auf in „DIW Wochenbericht 28 / 2021”, S. 493 f. (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Rüdiger Schmitt-Beck (2021): Wahlpolitische Achterbahnfahrt in „ApuZ aus Politik und Zeitgeschichte”, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)