Geflüchtete „betreiben Sozialtourismus”

 

Das Narrativ

Geflüchtete würden Zuflucht in Deutschland suchen, um den Sozialstaat auszunutzen, obwohl sie den Schutz nicht bräuchten. Damit tragen sie laut Narrativ zu den wirtschaftlichen Problemen des Landes bei.

 

Die Argumentation 

Grundlage dieses Narrativs ist die Unterstellung, dass Geflüchtete in ihren Herkunftsländern keinen großen Problemen und Gefahren ausgesetzt seien. Laut diesem Narrativ würden sie nicht vor Krieg oder Verfolgung in Deutschland Schutz suchen, sondern sie kämen nach Deutschland, um finanzielle Vorteile auszunutzen. Das Narrativ unterstellt Geflüchteten, zuletzt vor allem Kriegsflüchtlingen aus
der Ukraine, Syrien oder Afghanistan, dass sie sich nicht integrieren wollten, sondern nur von finanziellen Vorteilen profitieren würden. Als vermeintlicher Beleg hierfür wird behauptet, sie würden regelmäßig in ihre jeweiligen Heimatländer fahren, um Urlaub zu machen oder ihre Verwandten zu besuchen. Die Erzählung wird durch angebliche Beweise wie die Behauptung, dass Busse aus Deutschland in die Ukraine ausgebucht seien, unterstützt. 

Seit der Ankunft ukrainischer Geflüchteter wird das Narrativ häufiger verbreitet.

 

Keywords, die einen Hinweis auf das Narrativ sein können

‘Sozialtourismus’ I ‘Wirtschaftsflüchtlinge’ I ‘Pull-Faktor’ I ‘Wir Idioten können ja zahlen’ I ‘Einwanderer in das Sozialsystem’

 

Gegenargumente

Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Geflüchtete in erster Linie nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu beziehen. Eine Untersuchung mehrerer Studien zeigt, dass die Annahme, Migrant*innen und insbesondere Geflüchtete könnten die Sozialsysteme missbrauchen, übertrieben ist und sich als größtenteils unbegründet erweist.1

Generell gilt: Geflüchtete erhalten während ihres Asylverfahrens in Deutschland Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Diese Leistungen stellen ausschließlich eine Grundversorgung dar.2

Menschen suchen Schutz vor den verheerenden Folgen von Krieg, Armut, Gewalt und Terror in ihren Heimatländern, wobei auch potenzielle Arbeitsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen.3 Im Jahr 2023 stellten hauptsächlich Menschen aus Syrien, der Türkei, Afghanistan, dem Irak und dem Iran Asylanträge in Deutschland.4 Die Lage in diesen Ländern verdeutlicht die Gründe der Flucht: In Syrien hält die Gewalt unvermindert an, während die türkische Regierung repressiv gegen Regimekritiker*innen vorgeht. In Afghanistan verschärft sich die Unterdrückung der Taliban-Herrschaft, während der Irak als gescheiterter Staat gilt.5 Und im Iran werden Menschen, die gegen das Regime protestieren, inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet.6 Außerdem gibt es derzeit kaum noch legale und sichere Fluchtwege, wodurch Geflüchtete gezwungen sind, ihr Leben auf gefährlichen Routen zu riskieren.7

Von den gesetzlichen Regelungen für Asylsuchende ausgenommen sind Ukrainer*innen, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen sind.8 Als anerkannte Kriegsflüchtlinge9 sind sie in Bezug auf Sozialleistungen mit deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt10 und können Bürgergeld beantragen. Es gibt jedoch weder Belege für die Behauptung, dass Ukrainer*innen in Deutschland systematisch unrechtmäßige Sozialleistungen beziehen, noch dafür, dass sie massenhaft in die Ukraine zurückreisen, um dort Urlaub zu machen.

Ausführlichere Informationen zu den Rechten von ukrainischen Kriegsflüchtlingen

Mediendienst Integration

Ausführlichere Informationen zu Fluchtursachen
 der Migrationsforschung

Flucht und Migration: Trends, Faktoren, Dynamik
 

Weitere Faktenchecks zum vermeintlichen „Sozialtourismus“, den Geflüchtete angeblich betrieben,

dpa  und dpa

mdr

Weitere Faktenchecks zum angeblichen Sozialbetrug durch ukrainische Geflüchtete

br

mdr

CORRECTIV

 


1 Corrado Giulietti, Jackline Wahba (2013): Welfare Migration, S. 15 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

2 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (2024): Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Daniel Naujoks (2020): Flucht und Migration: Trends, Faktoren, Dynamik in „Globale Wanderungsbewegungen“, herausgegeben von Christoph Beier, Dirk Messner, Hans-Joachim Preuß, S. 3f. (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2024): Asylgeschäftsstatistik Gesamtjahr und Dezember 2023  (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Uno Flüchtlingshilfe (2024): Vorurteile gegen Flüchtlinge auf dem Prüfstand (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

6 Human Rights Council (2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, S. 9f., S. 14 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

7 Uno Flüchtlingshilfe (2024): Auf der Suche nach Schutz und Sicherheit (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Mediendienst Integration (2024): Flüchtlinge aus der Ukraine (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union (2022): Ukraine: Rat beschließt einstimmig vorübergehenden Schutz für Kriegsflüchtlinge (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)

10 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2024): Sozialleistungen (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)