Stellungnahme, 15. Februar 2021

Was bei der Berichterstattung über rassistische Anschläge besser laufen kann.

Ein Jahr nach Terroranschlag in Hanau

Vor einem Jahr wurden neun Menschen Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau. Viele Medien tappten in die üblichen Fallen.

Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau. Bei der Berichterstattung tappten viele Medien in die üblichen Fallen beim Thema Rassismus. Einiges lief aber auch besser als sonst.

#Saytheirnames: Unter diesem Hashtag wurde im vergangenen Jahr in den Sozialen Medien immer wieder an die Namen der Toten von Hanau gedacht. Meistens waren es Aktivist:innen und Organisationen, die deutlich machten, um wen es bei der Erinnerung an den Anschlag vorrangig gehen muss: Um die Opfer und ihre Familien und nicht um den Täter. Doch auch einige Medien, vor allem junge Formate wie Bento, jetzt.de, Zett.de, DLF Nova, Funk, haben im vergangenen Jahr Angehörige und Engagierte aus Hanau ausführlich zu Wort kommen lassen. Auch zum Jahrestag des Anschlags sollte aus der Perspektive der Hinterbliebenen berichtet werden, wie etwa in den “Hanau-Protokollen” im aktuellen SPIEGEL. Positiv ist außerdem, dass der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ kaum noch verwendet wird, denn damit übernehmen Medien die Perspektive des Täters auf seine Opfer. Stattdessen war beim Anschlag von Hanau überwiegend von „Rassismus“ die Rede, womit das Problem benannt wurde.

Viele Medien haben allerdings Fehler gemacht, die wir von Berichten über Themen der Einwanderungsgesellschaft bereits kennen:

  1. Respektvoller Umgang mit persönlichen Informationen: Leider wurden die Namen der Toten von Hanau mitunter falsch ausgesprochen oder ungenau geschrieben (ohne Sonderzeichen). Auch die Angaben zur (familiären) Herkunft der Betroffenen waren manchmal ungenau, etwa wenn eine kurdische und türkische Familienherkunft verwechselt wurden. Und die Vielfalt unter den Opfern wurde oft nicht deutlich – darunter waren auch Rom:nja, Menschen mit Familien aus Bosnien, Rumänien, Bulgarien und Afghanistan.
  2. Die Migrantisierungs-Falle: In den meisten Medien wurde das Narrativ bedient, wonach ein Deutscher neun Ausländer:innen oder migrantische Personen erschossen hat. Dabei hat ein rechtsextremer Deutscher andere Einheimische umgebracht. Das ist keine Spitzfindigkeit, sondern hat Konsequenzen: Wer nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird, bekommt oft nicht die gleiche Aufmerksamkeit. Zudem haben einige Medien nach dem rassistischen Anschlag Stimmen von Künstler:innen, Aktivist:innen, Journalist:innen eingeholt und mit Überschriften versehen, wie „Migranten äußern sich entsetzt“. So werden Einheimische verbal ausgebürgert.
  3. Bei einem rassistischen Anschlag sollten nicht nur Einzelstimmen, sondern auch Organisationen Gehör bekommen. Trotzdem wurden zum Beispiel keine kurdischen oder Rom:nja-Organisationen nach Stellungnahmen gefragt, obwohl drei der Opfer Romn:nja waren. Ebenso wurden nur selten die vielen „Migrantifa”-Gruppen vorgestellt, die sich in zahlreichen Städten nach dem Anschlag von Hanau gegründet haben. Auch Ansprechleute der „Initiative 19. Februar” sollten in den Telefonlisten von Redaktionen vermerkt sein.
  4. Berichterstattung über Terroranschläge und Extremismus erfordert besondere Sensibilität. Journalist:innen müssen sich bewusst sein, dass detaillierte Befragungen über Todesszenen oder ähnliche Situationen retraumatisierend auf die Hinterbliebenen wirken können und die Wiedergabe von rassistischen Inhalten schmerzhaft sein kann für Betroffene. In manchen Fällen hilft eine vorangestellte Triggerwarnung oder eine sinngemäße Wiedergabe.

Weitere Lektüre-Empfehlungen:

 

Vorstand
Neue deutsche Medienmacher:innen