Finger weg von der Pressefreiheit, Herr Innenminister!
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Bundesinnenminister Horst Seehofer hat angekündigt, Strafanzeige gegen Journalist:in Hengameh Yaghoobifarah zu stellen, nachdem bereits beide Polizeigewerkschaften Strafanzeige wegen „Volksverhetzung“ erstattet haben. Auslöser war eine satirische Kolumne vom 15.6.2020 in der „tageszeitung“.
Als NdM kritisieren wir das Vorgehen gegen Hengameh Yaghoobifarah aufs Schärfste, denn:
- Der Innenminister ist oberster Verfassungsschützer und damit zuständig für die Pressefreiheit. Die Meinungsfreiheit in der Presse ist von Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt. In dieser vor Gericht vermutlich aussichtslosen Causa eine Strafanzeige zu stellen, ist also reine Symbolpolitik, eine Drohgebärde, die an alle Medienmacher:innen in Deutschland gerichtet ist und die Pressefreiheit in Frage stellt.
- Nach den Anschlägen in Wächtersbach, Halle, Hanau und in einer Situation, in der über Polizeigewalt, strukturellen Rassismus und rassistisch motivierte Gewalt gegen Menschen aus Einwander:innenfamilien diskutiert wird, ist es bezeichnend, wenn sich das Innenministerium mit einem Nebenschauplatz in die Schlagzeilen hievt. Wir werten das als Ablenkungsmanöver und Zeichen für Desinteresse am Thema Rassismus.
- Die problematische Prioritätensetzung des Bundesinnenministers zeigte sich auch zuvor: 2019 haben die NdM gemeinsam mit anderen Journalist:innenvereinigungen Horst Seehofer aufgefordert, für die Sicherheit von Journalist:innen zu sorgen, die auf sogenannten „Todeslisten“ von Neonazis stehen. Bis heute hielt es der Innenminister nicht für nötig, auf diesen offenen Brief zu antworten, geschweige denn aktiv zu werden. Dass Polizist:innen von einer satirischen Glosse beleidigt sein könnten, ist Horst Seehofer offensichtlich wichtiger, als Journalist:innen vor Neonazis zu schützen.
- Da dem Innenminister aufgefallen ist, dass eine „Enthemmung der Worte“ zu Taten führen kann: Dürfen wir davon ausgehen, dass er ab jetzt grundsätzlich Strafanzeigen gegen hetzerische Texte in Medien und Sozialen Netzwerken stellen wird?
- Es ist kein Zufall, dass es immer wieder BPoC-Kolleg:innen trifft, die mundtot gemacht werden sollen. Vor Hengameh Yaghoobifarah hatte Minister Seehofer eine der Vorsitzenden der NdM, Ferda Ataman, ins Visier genommen. Er sagte seine Teilnahme am Integrationsgipfel 2018 ab, weil er sich durch einen Kommentar von ihr gekränkt fühlte. Es geht also nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern insbesondere um die Meinungsfreiheit von Menschen aus Einwander:innenfamilien.
Wir fordern vom Innenministerium, von der angekündigten Strafanzeige Abstand zu nehmen. Wir fordern Schutz der Kolleg:innen, die von Rechtsextremist:innen und Neonazis bedroht werden.
An alle freien und festangestellten Kolleg:innen in Redaktionen:
- Stellt Euch gemeinsam hinter Journalist:innen, die angegriffen werden! Wir dürfen nicht zulassen, dass das Innenministerium die Meinungs- und Pressefreiheit in Frage stellt – oder dass Redaktionsleitungen vor dem Druck von Rechts einknicken.
- Lasst freie Mitarbeiter:innen nicht hängen, wenn es unbequem wird. Das gilt insbesondere für Chefredaktionen: Rückgrat braucht man nicht nur bei Orthopäd:innen.
- Nehmt die Standpunkte eurer BPoC-Kolleg:innen ernst. Identität und Diskriminierungserfahrung spielen für die Sicht auf die Polizei eine große Rolle. Versucht nicht, benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen.
- Recherchiert weiter an den Themen, von denen momentan abgelenkt werden soll: Rassismus – insbesondere struktureller Rassismus bei der Polizei.
Neue deutsche Medienmacher:innen
Vorstand