Unfollow Klischees
Hallo zusammen,
diese Ausgabe entstand zwischen zwei ernüchternden Erkenntnissen: Erstens, dass es verdammt schwer ist, eine diskriminierungssensible Frauenärztin zu finden. Und zweitens, dass Shiv Roy in der Serie „Succession“ trotz all ihrer klugen, halbwegs demokratischen Ideen natürlich nie ganz oben ankommt (kein Spoiler). Vielleicht kein Zufall. In beiden Fällen zeigt sich: Wer mit Macht, Körpern oder Medien zu tun hat, kommt an strukturellen Fragen nicht vorbei.
In dieser Ausgabe: Unser neues Projekt „Beyond the Frame“ ist gestartet! 17 junge (Foto-)Journalist*innen machen religiöse Vielfalt jenseits gängiger Klischees sichtbar. Unsere Geschäftsführerin Elena Kountidou hat sich für mehrsprachigen Journalismus stark gemacht (#saveCOSMOradio), wir waren auf der re:publica, bei Netzwerk Recherche und Medienkarriere NRW unterwegs und haben viele neue Menschen getroffen, die mit uns für mehr Vielfalt in den Medien kämpfen.
Außerdem: Drei Fragen an den Inklusions-Aktivisten Raúl Krauthausen, eine starke neue Podcast-Recherche über das ikonische Döner-Logo, Studien zu Burnout im Journalismus – und wie immer für Euch Mitglieder: handverlesene Ausschreibungen, Tipps & Termine für alle, die die Medienwelt verändern wollen.
Deine Neuen deutschen Medienmacher*innen
Was gibt's Neues?

Beyond the Frame ist gestartet Am 15. Juni fiel der Startschuss für unser neues Projekt „Beyond the Frame“. 17 junge (Foto-)Journalist*innen kamen zur Auftaktveranstaltung in Berlin zusammen – mit Panels, Workshops und Gesprächen über diskriminierungssensible Bildsprache und interreligiöse Zusammenarbeit. Jetzt beginnt die Praxisphase: Die Teilnehmenden begleiten ihre Protagonist*innen aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften und entwickeln Bildstrecken, die neue religiöse Perspektiven sichtbar machen. Mehr dazu (siehe Bild oben; Foto: Nadja Wohlleben)
#SaveCosmo – Wir sagen: COSMO muss bleiben Mehrsprachiger Journalismus ist unverzichtbar. Deshalb unterstützen wir die Petition #saveCOSMOradio und fordern vom RBB und Radio Bremen ein klares Bekenntnis zur Vielfalt im ÖRR. Unsere Geschäftsführerin Elena Kountidou hat dazu mehrere Interviews gegeben. (BR, Deutschlandfunk Kultur, epd medien)
NdM on Tour – Berlin, Hamburg, Bielefeld In den letzten Wochen waren wir viel unterwegs und haben überall für mehr Vielfalt und Schutz im Journalismus geworben. Danke an alle, die mit uns diskutiert, sich vernetzt und unsere Themen mitgetragen haben! Hier ein kleiner Rückblick:
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re:publica
Berlin – Fünf Formate (zum Beispiel „Macht, Platz” und „Create against Hate”), volles Haus – von Community-Redaktionen über Schutz vor digitaler Gewalt bis zu unserem neuen Netzwerk toneshift gegen Hass im Netz und Desinformation. Vielfalt war sichtbar, aber noch zu selten auf der Mainstage – wir arbeiten dran.
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Netzwerk Recherche
Hamburg – Ein Panel zum Schutz von Journalist*innen mit internationaler Biografie, viele gute Gespräche am eigenen Stand im Hof und ein proppenvoller NdM-Stammtisch am Abend.
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Medienkarriere NRW
Bielefeld – Auf dem Karrieretag der Medien Karriere NRW haben unsere Kolleginnen von Mentoring@NRW einen Workshop zu Diversität im Redaktionsalltag gehalten – mit dabei: unsere Mentees Saba Amjed und Leon Wittler. Danke an alle, die am Stand vorbeigeschaut haben!
„Wie divers sind Deutschlands Redaktionen?“ Das hat ZAPP vom NDR zum Diversity Day gefragt. Unsere Geschäftsführerin Elena Kountidou sagt: Es gibt mehr Bewusstsein, aber zu wenig Verbindlichkeit. Auch unser Diversity Guide zeigt: Ohne Daten kein Wandel. Mehr dazu
Im Fokus
Wer zeigt wen – und wie? Bildberichterstattung neu denken
Der Anlass:
Ob Frau mit Kopftuch bei Migration, Rollstuhl-Symbolbild bei Inklusion oder weißes cis–Männerpaar bei LSBTIQ* – viele Themen werden medial mit immer denselben Bildern verknüpft. Klischees und visuelle Stereotype bestimmen, was gesehen wird und was nicht. Aber: Gute Bilder erzählen mehr. Mit unserem Projekt „Beyond the Frame: Junge Perspektiven auf Vielfalt im Glauben“ wollen wir das ändern und setzen uns für eine vielfältige und diskriminierungssensible Darstellung von Religionen in den Medien ein.
Wir haben gelernt:
Im Rahmen unseres Projekts „Beyond the Frame” haben junge (Foto-) Journalist*innen in Workshops über Storytelling und diskriminierungssensible Bildsprache gearbeitet.
Unsere Tipps für Euch:
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Ein gutes Bild erzählt eine Geschichte – Bild und Text müssen zusammen gedacht werden, um komplexe Themen sichtbar zu machen.
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Fotografische Zugänge sollten mehr als Klischees zeigen – sie brauchen Reflexion, Kontext und Respekt vor den Abgebildeten.
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Diversitätsmerkmale dürfen nicht nur sichtbar sein, wenn es um Probleme geht– sie gehören selbstverständlich ins Bild der Gesellschaft.
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Intersektionalität mitdenken – Bilder sollten die Vielfalt von Lebensrealitäten und Mehrfachzugehörigkeiten abbilden, statt auf ein Merkmal zu reduzieren.
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Bewusste Bildauswahl und Editing sind entscheidend – Wer ist wie dargestellt? Was wird weggelassen? Wer stellt wen wie dar?
Auf dem Radar
Buch-Tipp: Rechte Gewalttaten in Deutschland – Aufarbeitung und Gedenken im lokalen Kontext NSU, Halle, Hanau, Solingen – rechte Gewalt hat Kontinuität. Der Sammelband fragt, wie lokale Aufarbeitung und Gedenken funktionieren (oder eben nicht). Mit interdisziplinären Beiträgen und kritischen Perspektiven auf Erinnerungskultur in Deutschland. Mehr dazu
Betreff: Iran/Israel Emran Feroz ruft seinen Cousin in Teheran mitten im israelisch-iranischen Konflikt an. Ein persönlicher Text über Angst, Alltag und das Vergessen der Menschen hinter dem Feindbild. Mehr dazu
Digital News Report 2025 Junge Menschen meiden klassische Nachrichten und wenden sich lieber TikTok, Podcasts & Chatbots zu. In den USA ist Social Media jetzt die wichtigste Newsquelle. Doch: Vertrauen sinkt, News werden oft vermieden. Mehr dazu
Podcast-Tipp: Exiljournalist*innen erzählen In Folge 35 von „Ohne Block und Bleistift“ (DJV NRW) sprechen Heba Alkadri und Ahmad Shihabi über ihren Weg in den deutschen Journalismus – zwischen Exil, Sprachbarrieren und politischem Aktivismus. Zur Folge
Talk-Tipp: Medienkritik zur Nahost-Berichterstattung Nadia Zaboura analysiert auf der re:publica, warum fast jede*r Zweite den deutschen Medien bei Nahost-Themen nicht mehr traut und zeigt, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Zum Talk auf YouTube
TV-Tipp: Shari Jung beim NDR Warum Redaktionen so weiß sind und was sich ändern muss. Zur ARD-Mediathek
New York Times lobt Merz – mit AfD-Rhetorik? Ein NYT-Kommentar feiert Merz’ Migrationspolitik – und klingt dabei verdächtig nach rechter Argumentation. Die MDR-Medienkolumne „Altpapier” fragt: „Mit der AfD die Demokratie vor der AfD retten?“. Unsere Broschüre „Feindbild Migration” wird auch erwähnt. Zur Kolumne
Recherche: Kampagne gegen den ÖRR 2024 orchestrierte das Internetportal „Rundfunkalarm.de“ über 48.000 Beschwerden gegen ARD & ZDF – ein gezielter Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. CORRECTIV hat recherchiert. Mehr dazu
Abo-Push fürs Missy Magazine Das Missy Magazine braucht 3.000 neue Abos, um weitermachen zu können. Die Redaktion steht für unabhängigen, queerfeministischen Journalismus – von Frauen, PoC und queeren Personen. Missy zahlt aktuell 80 € für Musiktexte, will faire Honorare zahlen und langfristig planen. Mehr dazu
Was bringen eigentlich Programmbeschwerden? 2024 gab’s 1.129 Programmbeschwerden – nur fünf hatten Erfolg. Medienjournalist Stefan Fries fordert: mehr Transparenz und klare Regeln statt Sender-Wirrwarr. Mehr dazu
Frontex-Kinderbuch Frontex verkauft Abschiebung an Kinder als Abenteuer. Mit Ausmalbildern und Kuscheltönen. Mehr dazu
Studie: „Burning (Out) for Journalism” Aktuelle LMU-Studie zeigt: Mehr als die Hälfte der deutschen Journalist*innen kämpft mit Depressionen, 64 % denkt ans Aufhören. Burnout ist alarmierend verbreitet, besonders bei Frauen. Redaktionelle Unterstützung fehlt größtenteils. Hier lesen
3 Fragen an... Raúl Krauthausen
NdM: Wenn Du eine Sache in der deutschen Medienberichterstattung über Aktivismus oder Inklusion radikal verändern könntest – was würdest Du sofort abschaffen oder ersetzen?
RK: Den paternalistischen Blick auf behinderte Menschen abschaffen. Ich spreche von der typischen „Trotz-der-Behinderung“-Narration. Eine behinderte Person wird nicht als Mensch mit Rechten dargestellt, sondern als Held*in, die „trotz“ Behinderung irgendetwas geschafft hat. Oder umgekehrt als Opfer oder Sorgenkind. Dabei kommt die betroffene Person mit all ihren anderen Eigenschaften nicht selbst zu Wort. Diese Perspektive reduziert Menschen auf ihre Behinderung – statt ihre Forderungen, Kompetenzen und Lebensrealitäten in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Art der Berichterstattung ist nicht neutral – sie ist entpolitisierend. Statt strukturelle Barrieren zu thematisieren, individualisiert sie Probleme: Es geht dann nicht um fehlende Barrierefreiheit, sondern um den Willen einer Person, sich „durchzukämpfen“. Dabei wird Aktivismus oft auch romantisiert oder lächerlich gemacht, und echte Kritik am System bleibt außen vor.
NdM: Ableismus tötet. Welche Situation hat Dir das am brutalsten gezeigt – und hat zugleich keine Schlagzeile erhalten?
RK: Am 28. April 2021 ereignete sich im Thusnelda-von-Saldern-Haus des Oberlinhauses in Potsdam eine grausame Tat: Eine langjährige Pflegekraft, Ines R., tötete vier schwerbehinderte Bewohner*innen mit einem Messer und verletzte eine weitere Person schwer. Die Opfer – Lucille H. (42), Martina W. (31), Christian S. (35) und Andreas K. (56) – waren aufgrund ihrer Behinderungen wehrlos und konnten sich nicht zur Wehr setzen. In der Berichterstattung lag der Schwerpunkt häufig auf der Biografie der Täterin, ihren psychischen Problemen und den Arbeitsbedingungen im Heim. Die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen wurde hingegen selten beleuchtet. Auch wurden kaum behinderte Menschen allgemein befragt, was ihre Forderungen und Ängste sind. Der Fall offenbarte tiefgreifende strukturelle Probleme in der Behindertenhilfe: ein Machtgefälle zwischen Personal und Bewohner*innen, mangelnde Kontrolle und fehlende Schutzmechanismen. Obwohl das Oberlinhaus nach der Tat eine Expertenkommission einsetzte und einen Gewaltschutzbeauftragten ernannte, bleibt die Frage, ob solche Maßnahmen ausreichen, um zukünftige Gewalt zu verhindern. Es sind einfach keine Einzelfälle, sondern es ist strukturell begünstigt.
NdM: Viele Journalist*innen denken bei Behinderung zuerst an Barrierefreiheit. Was übersehen wir komplett, wenn wir das Thema darauf reduzieren?
RK: Sie übersehen dabei komplett, dass behinderte Menschen auch Expertisen über ihre eigene Behinderung hinaus haben. Sie können genauso Atomphysiker*innen, Handwerker*innen oder Künstler*innen sein, aber darüber werden sie viel zu selten befragt. Und wenn man sie fragt, dann geht es meistens um die Behinderung und selten um die Kunst oder die anderen Themen, die sie beschäftigen.
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Mehr davon, danke
Das Thema: Wer hat das Döner-Logo erfunden?
Es ist auf Millionen Papieren gedruckt, umwickelt fast jeden Döner – und trotzdem wusste niemand, wer den ikonischen roten Dönerkoch gezeichnet hat. Bis jetzt.
Warum das wichtig ist?
Weil migrantische Kultur in Deutschland sichtbar ist – aber oft unsichtbar bleibt, wenn es um Urheberschaft, Anerkennung oder Deutungshoheit geht. Das berühmte Döner-Logo ist ein Symbol für deutsche Alltagskultur mit migrantischen Wurzeln. Und doch war der Mensch dahinter nie Teil der Erzählung. Aylin Doğan hat das geändert. Im BR-Podcast „Obsessed – Döner Papers” recherchiert sie, fragt sich durch die deutsch-türkische Community, folgt falschen Spuren – und findet schließlich den Urheber. Es ist nicht nur eine medienkritische Recherche, sondern auch eine Geschichte über Erinnerung, Zugehörigkeit und wer in Deutschland Geschichte schreiben darf.