Nicht alle sprechen "Tagesschau"
Hallo zusammen,
willkommen zurück. Ein Fun Fact schon mal: Die heutige Ausgabe wurde mit Hilfe von kurdischem Kaffee geschrieben.
In dieser Ausgabe: Workshops zu SLAPP-Abwehr und Öffentlichkeitsarbeit für migrantische Selbstorganisationen, wieso wir mehr Mehrsprachigkeit vom ÖRR fordern und drei Fragen an Sophia Maier, Polizeikritik in der deutschen Primetime.
Wenn Euch unsere Arbeit gefällt, freuen wir uns über Eure Spende. Wir glauben: Journalismus soll offen für alle sein. Mit Eurer Spende ermöglicht Ihr Beratung, Mentoring und Vernetzung – für Schwarze Medienschaffende, für Kolleg*innen mit Einwanderungsgeschichte, Fluchterfahrung oder für jene, die neu in Deutschland sind. Jetzt spenden und Vielfalt stärken!
Viel Spaß beim Lesen,
Deine Neuen deutschen Medienmacher*innen
Was gibt's Neues?

Retreat für Journalist*innen mit Flucht- und Migrationserfahrung
Mit unserem ersten eigenen Retreat haben wir einen Raum geschaffen, den es so bisher kaum gibt: Für drei Tage konnten sich rund 20 Journalist*innen mit eigener Einwanderungs- und Fluchterfahrung in Berlin austauschen, vernetzen und gegenseitig stärken. Organisiert und kuratiert von uns lag der Fokus auf Themen, die im Redaktionsalltag oft untergehen: Resilienz, Selbstbehauptung, Themenfindung und solidarisches Miteinander. Mehr Einblicke gibt’s auf Instagram, schaut hier vorbei. (siehe Bild oben; Foto: Sapna Richter)
White Paper für gerechte KI
Was hat KI mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Eine ganze Menge. Genau dieser Frage sind wir als Neue deutsche Medienmacher*innen im Projekt “Code of Conduct Demokratische KI” nachgegangen – gemeinsam mit 15 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Unsere Perspektive: Mediale Repräsentation, Sprache und Teilhabe müssen auch im digitalen Raum neu gedacht werden. Wir haben vier klare Thesen in einem White Paper erarbeitet. Mehr dazu
Im Fokus
Das Thema Öffentlich-rechtlich, aber nicht für alle?
Der Anlass 23 Prozent der Bevölkerung sprechen zu Hause neben Deutsch eine andere Sprache oder kein Deutsch.
Die Einordnung Doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sendet fast ausschließlich einsprachig. Darüber hinaus sind in Mediatheken fremdsprachige Tonspuren und Untertitel schwer auffindbar oder veraltet. Es gibt sehr wenige hochwertige Bildungsformate auf Türkisch, Arabisch oder anderen stark vertretenen Sprachen. Menschen mit Einwanderungsgeschichte zahlen zwar Rundfunkbeitrag, erhalten aber kaum Zugang zu Nachrichten oder Bildungsinhalten in ihrer Sprache. Besonders Kinder und Jugendliche bleiben außen vor. Somit bleiben zentrale Zielgruppen außerhalb der demokratischen Grundversorgung.
Wir fordern:
Der ÖRR muss mehrsprachig werden – mit aktuellen Nachrichten, auffindbaren Inhalten, dauerhafter Finanzierung und einer wirklichen Strategie. Erfolgreiche Angebote wie WDRforyou und COSMO zeigen, dass Know-how, Interesse und Bedarf da sind. Denn: Mehrsprachigkeit ist kein Nice-to-have, sondern eine Grundbedingung für demokratische Teilhabe.
Auf dem Radar
„Über Israel und Palästina sprechen“ Medienkritikerin Nadia Zaboura über mediale Schlagseiten, Schieflagen und Schweigen. Im Gespräch mit Shai Hoffmann. Zur Podcast-Episode
Macht, Geld, Einschüchterung Journalistin Sanaz Saleh-Ebrahimi über ihre Erfahrungen mit juristischem Druck nach Kritik an More Nutrition. Zum Text im journalist
Journalismus im öffentlichen Interesse braucht neue Strukturen Ein neues White Paper zieht Bilanz nach 18 Monaten Forschung und Gesprächen mit Medienakteur*innen in ganz Europa: Öffentliches Interesse allein reicht nicht – ohne strukturelle Förderung, Schutz vor politischem Druck und faire Geschäftsmodelle bleibt unabhängiger Journalismus prekär. Zum White Paper
Finnland als Vorbild Früh übt sich: Finnland begegnet Desinformation mit einer breit angelegten Medienbildung – von der Schule bis zur Bibliothek. Deutschland kann davon viel lernen. Zum Text
„Abgeschrieben?“ – Der Osten in den Medien Wie mediale Klischees das Bild Ostdeutschlands prägen – und warum das Vertrauen in Medien dort besonders brüchig ist. Eine sehenswerte ARD-Doku über journalistische Muster und mediale Selbstbilder. Zur Doku
Neues aus der Wissenschaft Die neue Ausgabe der Zeitschrift für Journalismusforschung, “Journalistik”, beleuchtet Diversität in Redaktionen, Desinformation im US-Wahlkampf, sowie strukturelle Risiken für unabhängige Medien. Zur Ausgabe
DJV: Berichterstattung über AfD neu ausrichten Nach der Einstufung der AfD als rechtsextrem (tbd), fordert der Deutsche Journalisten-Verband einen klareren Umgang: Keine Normalisierung, keine Gleichsetzung mit demokratischen Parteien – und deutliche Einordnung rassistischer Positionen. Zur Stellungnahme
Desinformation im Koalitionsvertrag Union und SPD wollen härter gegen gezielte Falschinformationen vorgehen. CORRECTIV analysiert, was wirklich geplant ist – und warum kein „Lügen-Verbot“ droht. Zum Text
3 Fragen an Sophia Maier
Sophia Maier ist freie Journalistin, Reporterin und Filmemacherin. Ihre Themenschwerpunkte sind Migration, Flucht und Nahost. Im Oktober erscheint ihr erstes Buch "Herz aus Stacheldraht". (Foto: Sebastian Knoth)
NdM: Wie bewertest Du die deutsche Berichterstattung zu Gaza? Hat sich diese seit dem 7. Oktober verändert – und wenn ja, wie?
SM: Gerade in den ersten Monaten nach dem 7. Oktober war die deutsche Berichterstattung oft einseitig – emotional aufgeladen, mit Fokus auf die Perspektive Israels. Inzwischen lässt sich ein gewisser Wandel im Mediendiskurs erkennen. Aber von einem Journalismus, der durchgehend faktenbasiert, menschenrechtsorientiert und völkerrechtskonform berichtet, sind wir noch weit entfernt. Aussagen von Kriegsparteien werden nicht immer ausreichend kontextualisiert, zentrale Informationen bleiben aus – und das Leid der palästinensischen Bevölkerung wird häufig nur am Rand erwähnt. Auch palästinensische Stimmen finden in der öffentlichen Debatte kaum Gehör. Diese Schieflage hat Vertrauen gekostet – viele Menschen im Land wünschen sich eine differenziertere Berichterstattung.
NdM: Was sind Deine drei „Goldenen Regeln“ für Journalist*innen, die überlegen, frei zu arbeiten?
SM: Fokussiere Dich auf Themen, für die Du brennst – und in denen Du Expertise hast.
Vernetze Dich. Kollegen und Kolleginnen sind keine Konkurrenz – sondern Wegbegleiter, Unterstützung und Türöffner. Denk vorher gut darüber nach: Wie kannst Du bei diesem Schritt gut für Dich sorgen – finanziell, körperlich und emotional?
NdM: Wie gehst Du mit Hass-Kommentaren um?
SM: Mit der Zeit hat sich eine Art Gewöhnung eingestellt – aus Selbstschutz. Beleidigungen wie „du dumme Fotze“ rauschen oft nur noch durch. Doch wenn es ein Shitstorm ist, hunderte Nachrichten auf einmal, dann trifft es mich: wegen der Masse und der Wucht. Ich versuche mir bewusst zu machen: Als Journalistin bin ich oft nur eine Projektionsfläche – für Frust, Wut, Enttäuschung. Das hilft meist. Aber an schlechten Tagen – oder wenn es um echte Drohungen geht – lässt es sich nicht einfach wegschieben.
Weiter geht das Interview auf unserem Instagram-Kanal!
Mehr davon, danke
Das Thema: Ein Moment der Klarheit in der Primetime
Carolin Kebekus spricht in ihrer Show über Lorenz A., den 21-jährigen Schwarzen Mann, der von einem Polizisten in Oldenburg erschossen wurde – und über strukturellen Rassismus in der Polizei. Keine Pointe, keine Ironie – nur Klartext, Haltung und ein Ruf nach Gerechtigkeit.
Warum das wichtig ist?
Weil solche Fälle in den Nachrichten oft schnell verschwinden. Weil es nicht selbstverständlich ist, dass eine der bekanntesten Unterhalter*innen im deutschen Fernsehen die Initiative Gerechtigkeit für Lorenz zitiert: „Wäre es nicht Lorenz gewesen, so wäre es der Sohn einer anderen Mutter gewesen. Ein anderer Bruder. Ein anderer Freund.“ Und weil Sichtbarkeit für solche Themen in der Primetime ein politischer Akt ist.