Seit 2017 sitzt mit der AfD eine rechtspopulistische Partei im Bundestag, seit 2018 ist sie in allen deutschen Landesparlamenten vertreten. Seither fragen sich viele Medienschaffende, wie sie mit Rechtspopulist:innen umgehen sollen. Bietet man ihnen zu oft eine Plattform, wenn man über ihre Provokationen berichtet oder sie in Talkshows einlädt – oder, tut man es nicht, vernachlässigt man dann Themen, die eine Vielzahl von Menschen umtreiben? Diese Frage fordert viele Journalist:innen regelmäßig heraus. Nach Rücksprache mit Expert:innen und der Lektüre einiger Untersuchungen haben wir deswegen folgende Tipps zusammengestellt.
1. Muss ich die rechtspopulistische Partei behandeln wie jede andere Partei auch?
Ja, grundsätzlich schon. Aber man sollte dabei nicht so tun, als wäre sie in jeder Hinsicht wie jede andere Partei. Populist:innen agieren immer mit derselben Erzählung: Sie allein vertreten „das Volk“ (die Mitte) – alle anderen sind böse, korrupt und gefährlich. Dabei sind sie selbst Teil der „Elite“ und des Establishments und keineswegs die Außenseiter:innen, als die sie sich gerne geben. Ihre Feindbilder sind Minderheiten, unabhängige Medien und „die Eliten“ – womit letztlich alle gemeint sind, die nicht so denken wie sie. Sie pflegen ein rein taktisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit, auf die sie sich gerne beziehen, um ihre Hetze zu verteidigen. Auf entsprechende Parolen muss man sehr gut vorbereitet sein und souverän und kritisch damit umgehen. Denn in Wirklichkeit sind Rechtspopulist:innen selbst nur eine – wenn auch lautstarke – Minderheit.
2. „Rechtspopulistisch“, „nationalkonservativ“ oder was eigentlich: Die AfD richtig einordnen.
Die AfD ist nicht nur „rechtspopulistisch“ und irgendwie konservativ. Die AfD ist eindeutig „rechtsradikal“. Sicherheitsbehörden und Sozialwissenschaftler:innen sprechen von Rechtsradikalismus, wenn Personen und Organisationen „klar rechts der Mitte des politischen Spektrums stehen, dabei allerdings im Rahmen der Verfassung bleiben“. Anders ist es beim Rechtsextremismus – der eine verfassungswidrige Haltung voraussetzt. Der Verfassungsschutz prüft derzeit, inwiefern Rechtsextremist:innen eine zentrale Rolle in der AfD spielen. Das gilt insbesondere für den völkischen „Flügel“ um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke.
Grundsätzlich bewegen sich Rechtspopulist:innen im Rahmen der Verfassung und bedienen sich demokratischer Mittel. Mit ihren politischen Forderungen verfolgen sie aber das Ziel, den Rechtsstaat und die Demokratie auszuhöhlen. Sie greifen Grundrechte von Minderheiten und Andersdenkenden an, stellen die Freiheit der Medien und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage und halten internationale Abkommen und Konventionen nicht für bindend. Ihr Ziel ist ein autoritärer Staat. Das Ergebnis lässt sich überall dort besichtigen, wo Rechtspopulist:innen an der Macht sind.
3. Muss ich aus demokratischen Gründen auch die Rechtspopulist:innen immer zitieren oder in meine Sendung einladen?
Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Man kann sie zitieren, interviewen oder in die Sendung einladen, aber natürlich muss man nicht. Vielmehr sollten sich Journalist:innen immer fragen: Worüber will ich reden und wer ist hierfür der:die richtige Ansprechpartner:in? Auf keinen Fall sollte man Rechtspopulist:innen nur deshalb zitieren oder ins Studio einladen, um wütenden Reaktionen ihrer Anhänger:innen in sozialen Medien vorzubeugen – das widerspricht allen journalistischen Kriterien und kann nicht die journalistische Messlatte sein. Die AfD behauptet gerne, sie werde ausgegrenzt. Aber es gibt auch für sie kein Grundrecht auf Sendezeit und mediale Aufmerksamkeit, so wie für alle anderen Parteien auch nicht.
Befragt man die AfD zu ihren Lieblingsthemen Asyl, Migration und Integration, sollte man auch die Perspektive derjenigen einbeziehen, die von diesen Themen betroffen sind – also Eingewanderte, Geflüchtete oder Muslim:innen. Journalist:innen sollten aber darauf achten, Rechtspopulist:innen auch zu Themen zu befragen, die nicht ihrer Populismus-Agenda entsprechen – zum Beispiel zu Wohnen, Rente, Finanzmarkt, Steuerpolitik etc.
4. Achtung beim Umgang mit populistischer Sprache.
Rechtspopulist:innen rühmen sich, die „Meinungsfreiheit“ gegen eine angeblich überbordende „politische Korrektheit“ zu verteidigen. Dabei geht es ihnen vor allem um die eigene Freiheit, Minderheiten auszugrenzen und ihr politisches Gegenüber beschimpfen zu dürfen. Auf Kritik reagieren sie empfindlich, wittern „Tugendterror“ oder gar „Zensur“.
Zur Strategie von Rechtspopulist:innen gehört es, die Grenzen des Sagbaren zu erweitern. Das sagen sie sogar ganz offen. Tugenden wie Höflichkeit, Anstand und Respekt gegenüber Minderheiten und politischen Gegner:innen zählen für sie allerdings nicht. Ein verantwortungsbewusster Journalismus hat die Aufgabe, über Sachverhalte möglichst ausgewogen und objektiv zu berichten. Aber menschenverachtende, faktenferne, manipulative Sprache kann und sollte nicht „neutral“ wiedergegeben werden. Sie sollte hinterfragt, analysiert und gegebenenfalls kritisch eingeordnet werden.
Es gibt außerdem Grenzen der Meinungsfreiheit, die gute Gründe haben. Über die Frage, ob der Holocaust wirklich stattgefunden hat, muss und darf nicht diskutiert werden. Es ist in Deutschland sogar gesetzlich verboten, weil ein Infragestellen des Holocausts gleichzeitig eine Relativierung dessen ist. Redaktionen können sich aber auch fragen, ob sie ernsthaft darüber diskutieren wollen, ob es Sinn macht, die Zuwanderung von Muslim:innen nach Deutschland oder deren Religionsfreiheit einzuschränken – oder die Frage zur Debatte stellen wollen, ob man Geflüchtete in Not vor dem Ertrinken retten soll oder nicht. Nicht jede Forderung der AfD ist es wert, diskutiert zu werden. Der einzige Sinn solcher Forderungen steckt oft darin, zu provozieren und im Gespräch zu bleiben.
5. Souverän umgehen mit rechter Hetze und Shitstorms
Redaktionen sollten sich nicht einschüchtern lassen, wenn mal wieder der Vorwurf „Lügenpresse“ oder „Staatsrundfunk “ laut wird, weil ihre Beiträge manchen nicht gefallen. Solche diffamierenden Angriffe auf die Meinungsfreiheit gehören zur Strategie von Rechtspopulist:innen.
Machen Sie sich und Ihren Kolleg:innen bewusst, dass hinter den meisten „Shitstorms“ nicht ihre Leser:innen, Zuhörer:innen oder Zuschauer:innen stecken, sondern rechter koordinierter Online-Aktivismus (mehr dazu hier). Im Netz gibt es eine Menge rechter Blogs, die eine regelrechte Parallelöffentlichkeit bilden. Immer wieder heizen sie die Stimmung an. Einzelne Shitstorms ergeben aber kein repräsentatives Meinungsbild. Sie sind Ausdruck einer kleinen, aber radikalen Minderheit, von der man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen sollte.
Formulierungshilfen für die Berichterstattung finden Sie in unserem Online-Glossar jetzt neu mit rechtsradikalen Vokabeln. Weitere konkrete Empfehlungen für den souveränen Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus in der Öffentlichkeit gibt Das Progressive Zentrum in Zusammenarbeit mit den Neuen deutsche Medienmacher:innen und der Amadeu Antonio Stiftung in der Broschüre „Countering Populism in Public Space“.