"Anne Will. Allahs Krieger im Westen"

Die Neuen deutschen Medienmacher:innen zur Sendung von Anne Will

Die Frage nach der Themenwahl-Begründung der Sendung "Radikale Muslime" am Gedenktag des Solingen-Brandanschlags 1993.

Sehr geehrte Frau Will,

liebe Kolleg:innen der Anne-Will-Redaktion,

wir sind ein bundesweites Netzwerk von über 500 Medienschaffenden und Journalist:innen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Unser Ziel ist es, dass Migrant:innen in den Medien fair repräsentiert werden, inhaltlich, personell und strukturell.

Mit Erstaunen und Irritation haben wir vergangenen Donnerstag Ihre Sendung „Allahs Krieger im Westen – wie gefährlich sind radikale Muslime?“ in der ARD verfolgt.

Entsetzt sind wir von dieser Themensetzung vor allem deswegen, weil die Sendung ausgerechnet am 20. Gedenktag des Brandanschlags 1993 in Solingen stattfand. Einem Brandanschlag, der rassistisch motiviert, von jungen Neonazis verübt wurde und bei dem fünf türkischstämmige Menschen ums Leben gekommen sind.

Sie haben Ihre Themenwahl an diesem 29. Mai 2013 damit begründet, dass Sie sich mit Blick auf die Attentate in Boston und London für eine aktuelle politische Debatte entschieden hätten. Der Jahrestag der Anschläge von Solingen sei aber im Sendungsablauf selbstverständlich berücksichtigt worden, ließen Sie über Ihre Pressesprecherin verlautbaren. Tatsächlich war es aber ein Gast, nämlich Thomas Oppermann, der in der Sendung an den 20. Solinger Jahrestag und die Radikalisierung rechter deutscher Jugendlicher erinnerte und nicht die Regie der Redaktion.

Der Solinger Anschlag hat Millionen Menschen nicht-deutscher Herkunft das Gefühl gegeben, in Deutschland unerwünscht und sich ihres Lebens nicht sicher zu sein. 20 Jahre später beschäftigt die Mordserie des NSU deutsche Gerichte; fast zwei Jahrzehnte lang konnten Neonazis in aller Seelenruhe und unbehelligt rassistische Morde an Nicht- und Neudeutschen verüben. “Deutschland auf dem rechten Auge blind – hat sich seit dem Solinger Brandanschlag nichts verändert?” – wäre das nicht der passendere Sendetitel am 29. Mai 2013 gewesen?

Zurück bleibt ein fader Beigeschmack und die Erkenntnis, dass die Anne-Will-Redaktion interkulturell wenig sensibel und weder inhaltlich noch personell auf diesem Feld gut aufgestellt ist. Das ist enttäuschend. Denn wir fühlen uns dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Journalist:innen sehr verbunden. Viele von uns arbeiten beim WDR, NDR, RBB, dem Deutschlandfunk oder der Deutschen Welle und anderen öffentlich-rechtlichen Sendern. Wir fühlen uns dem Qualitätsjournalismus verpflichtet, zu dem unseres Erachtens zwingend auch interkulturelle Kompetenz gehört. Zumal die Zuschauer:innenschaft immer bunter und vielfältiger wird. Sie muss in den Medien nicht nur widergespiegelt werden; ihre Bedürfnisse müssen auch berücksichtigt werden. Nicht nur an Gedenktagen aber vor allem an Tagen wie dem 29. Mai 2013.

Der Eindruck, den Sie bei uns mit der Sendung am 29. Mai 2013 hinterlassen haben, ist ernüchternd. Gern bieten wir Ihnen in einer konstruktiven Sendekritik detailliertes Feedback und Verbesserungsvorschläge als Neue deutsche Medienmacher:innen an und ein Gespräch über einen Interkulturellen Öffnungsprozess der Redaktion.

Über eine Einladung zu einem kritisch-solidarischen Gespräch würden wir uns als Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Neuen deutschen Medienmacher:innen

Der Vorstand

Berlin, den 05. Juni 2013