Von Konstantina Vassiliou-Enz
„Wer in dieser Welt etwas wie Gerechtigkeit sucht, muss wissen, dass er für Mediengerechtigkeit zu sorgen hat. Was sich nicht für das Bild ereignet, ist so gut wie nicht geschehen.“
(Adolf Muschg)
Medien beeinflussen die öffentliche Meinung. Sie fungieren im besten Fall als einordnende, analysierende, kontrollierende Kraft in unserer Gesellschaft, als vierte Gewalt. Journalisten haben dadurch Macht: Sie wählen aus, sortieren, verbreiten, vermitteln, kommentieren Informationen oder sie lassen sie weg. Sie sind Meinungsmacher, nicht nur im Kommentar oder Leitartikel - selbst im vermeintlich objektiven Nachrichtengenre nehmen sie Einfluss, durch die Auswahl der zu vermittelnden Inhalte, den Kontext in den diese Informationen gebracht werden und nicht zuletzt durch ihre Wortwahl und die Bebilderung von Nachrichten.
In unseren Medien wird kaum eine Meldung zum Thema Integration ohne das Bild einer Muslimin mit Kopftuch oder eines Gemüsehändlers präsentiert. In Berichten über die rassistische Mordserie der NSU war nach deren Bekanntwerden selbst in der ARD-Tagesschau noch die Rede von "Döner-Morden".
Die öffentliche Meinung ist wesentlicher Bestandteil des demokratischen Prozesses. Sie steht unter dem Einfluss fast ausschließlich autochton-deutsch besetzter Redaktionen. Anders gesagt: In Deutschland hat fast jeder vierte Mensch einen Migrationshintergrund, aber nur jede:r fünfzigste Journalist:in. Entgegen der Realität in unserem Land, herrscht in den Redaktionen der Republik keine kulturelle Vielfalt, mit der Konseqenz, dass die Deutungshoheit nahezu ausschließlich bei herkunftsdeutschen Journalist:innen liegt.
Perspektivenvielfalt statt Konformismus - Meinungshoheit für alle!
Dies führt unter anderem dazu, dass in einer altdeutsch geprägten Redaktion nicht hinterfragt wird, dass ein türkischer Ehemann, der seine frisch geschiedene Frau tötet, einen Ehrenmord begeht. Während die gleiche Tat bei einem deutschen Ehepaar, als Eifersuchtsdrama gilt. Oder dass etwa der Mord an der Muslimin Marwa El-Sherbini durch einen rassistischen Angeklagten im Gerichtsaal tagelang nicht thematisiert wurde, bis eine schockierte türkischstämmige Autorin einen Artikel in der Zeit verfasste.
Bereits im Jahr 2006 haben Familienmitglieder der Opfer der Neonazi-Mordserie darauf hingewiesen, dass die Taten rassistisch motiviert sein könnten, in den Internet-Foren muttersprachlicher Medien wurde diese These diskutiert. In deutschsprachigen Blättern wurden stattdessen, selbst wenige Monate vor Bekanntwerden der NSU, dubiose Gerüchte eines zweifelhaften Informanten ausgebreitet, der über mafiöse türkische Nationalisten als Täter schwadronierte (z.B. SPIEGEL 22.08.2011).*
Eine im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Mediale Integration von ethnischen Minderheiten“ erfolgte Umfrage in deutschen Zeitungsredaktionen schätzt den Anteil von hauptberuflichen Journalisten mit Migrationshintergrund auf 1,2 Prozent. In 84 Prozent der Tageszeitungen seien Journalisten ohne Migrationshintergrund unter sich. Die Bundesanstalt für Arbeit beziffert den Anteil an Migranten unter den Publizisten auf 2,5 %. (Vgl.: Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration: Expertise „Ausbildung von Volontären in den Medien“, Berlin 2006.)
Solche Diskussionen könnten auch in den Medien stattfinden, wenn es mehr Journalisten mit Migrationshintergrund in den Redaktionen gäbe. Wir müssen zusehen, dass bessere Voraussetzungen für eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung geschaffen werden. Ganz abgesehen davon, dass erweitertes kulturelles Wissen eine Bereicherung für die Medienproduktion ist, ein direkter Zugang zu migrantischen Communities die fundierte Recherche erleichtert und eine zweite Muttersprache von praktischem Nutzen für jede Redaktion ist. Kurz: Was wir brauchen sind mehr Perspektiven in den Medien, die die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden. Meinungs- und Deutungshoheit für alle!
Wer wir sind, was wir wollen
Wir sind ein unabhängiger bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit und ohne Migrationshintergrund. Wir setzen uns gezielt ein für mehr Vielfalt in den Medien und plädieren für eine differenzierte Berichterstattung. Wir wollen mehr Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund in der Medienproduktion; nicht nur als einzelne Aushängeschilder vor der Kamera und hinter dem Mikrophon, sondern als zahlreiche selbstverständliche Mitglieder auch in den Redaktionen, Planungsstäben und Führungsetagen der Medienhäuser.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn sich die vielfältige Lebenswirklichkeit einer multiethnischen Gesellschaft in den deutschen Medien als Normalität wiederspiegelt. Eine Beteiligung von mehr Journalisten mit Migrationshintergrund erhöht nicht zuletzt auch die Wettbewerbsfähigkeit von Medienbetrieben in einer immer vielfältigeren Gesellschaft.
In manchen Medienhäusern wurde dies bereits erkannt. Der WDR z.B. rekrutiert seit 2005 erfolgreich durch einen Talentwettbewerb Nachwuchsjournalisten mit Migrationshintergrund und hat erreicht, dass durchschnittlich 17 Prozent der Programmvolontäre des WDR eine Migrationsbiografie haben. Die RTLJournalistenschule führt ähnliche Wettbewerbe seit 2008 an Schulen durch. Im deutschen Fernsehen moderiert Dunja Hayali das ZDF-Morgenmagazin, Linda Zervakis die Tagesschau, Ingo Zamperoni die Tagesthemen. Doch es sind bislang Ausnahmen von der Regel. Die Mehrsprachigkeit und das Wissen von Journalisten mit Migrationshintergrund werden noch zu selten als Mehrwert aufgefasst. In den meisten Fällen führt ein Migrationshintergrund dazu, dass zunächst vor allem Mängel in der Beherrschung der deutschen Sprache unterstellt werden. Nach wie vor herrscht die Vorstellung Sprachvermögen sei in erster Linie an deutsche Kulturgüter gebunden. Daneben tragen eine eher wenig geregelte Ausbildung im Journalismus und die in vielen Medienhäusern ausgeprägte Seilschaftsstruktur dazu bei, dass der Anteil an Journalisten mit Migrationshintergrund immer noch verschwindend klein ist. Die deutschen Medien suchen ihr Personal traditionell in der deutschen Mittelschicht.
Was wir brauchen
Um eine vorurteilsfreie und ausgewogene Berichterstattung zu gewährleisten fordern wir in der Ausbildung für Medienberufe ein starkes Gewicht zu legen auf die Vermittlung von interkultureller Kompetenz als Professionalisierungsmerkmal. Die besten Interviewtechniken zu beherrschen nützt nicht viel, wenn ein Journalist nie gelernt hat, z.B. einen Perspektivwechsel vorzunehmen.
Nachwuchsjournalisten mit Migrationshintergrund sollte der Zugang zu Journalistenschulen, Universitäten und Volontariaten erleichtert werden. Dazu muss sprachliche und interkulturelle Kompetenz als positives Kriterium anerkannt werden.Die Eignungstests zu den Ausbildungsgängen für Medienberufe sollten die Vielfalt der Gesellschaft berücksichtigen.
Wir fordern die Politik auf ihren gesellschaftlichen Einfluss, ihr Mandat in den Rundfunkräten zu nutzen, um unmissverständlich klar zu machen, dass interkulturelle Kompetenz und Vielfalt in den Redaktionen entscheidend ist für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die medial hergestellte Öffentlichkeit und auch in die Mediensysteme. Dass mehr Journalisten mit Migrationshintergrund als selbstverständlicher Teil des Medienpersonals diese Kompetenzen stärken. Dass mediale Integration auf inhaltlicher wie personeller Ebene kein freiwilliger Good-Will-Akt ist, sondern eine Voraussetzung für unser aller Zusammenleben in einer zunehmend multiethnischen Gesellschaft.
Kurzfassung des Gastbeitrags von Konstantina Vassiliou-Enz in "Deutschland neu erfinden: Impulse für die Neuausrichtung sozialdemokratischer Integrationspolitik", Daniela Kaya, Vorwärts Buch, 2013