Gastarbeiter und neuere Unwörter

Politik und Medien scheuen sich immer noch, klar deutsch zu sprechen

Das Deutsche Hygienemuseum wollte diesen Text von Dr. Asiem el Difraoui nicht veröffentlichen. Die Neuen deutschen Medienmacher:innen schon.

Der folgende Text wurde von Dr. Asiem El Difraoui auf Anfrage des Deutschen Hygienemuseums, Dresden, als Diskursbeitrag für das Begleitbuch zur Ausstellung "Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt" verfasst.

Das Deutsche Hygienemuseum hat es abgelehnt diesen Artikel zu veröffentlichen. Die Neuen deutschen Medienmacher:innen nicht.

 

Dieser kleine Text hat seinen Ursprung in einem Polit-Talk, bei dem ich mich zunächst fragte, warum ich eigentlich eingeladen wurde und warum ich da hingehen sollte. Ein paar enge Freunde meinten allerdings, dies sei wichtig – warum weiß ich nicht mehr sehr genau. Vermutlich wegen der medialen Aufmerksamkeit – daraufhin habe ich teilgenommen. Bei dieser Talkshow wurden, wie es leider auch oft nicht anders zu erwarten ist, von gewissen Teilnehmern Begriffe wie Islam, Islamismus, Dschihadismus und Terrorismus zu einem einzigen Brei vermischt. Auch wurde gefordert, man müsse „radikale“ – und gemeint waren natürlich extremistische – Muslime ausweisen. Wie das funktionieren sollte, war mir nicht wirklich klar – denn natürlich sind viele dieser „Radikalen“ schlicht Deutsche. Der bayrische Innenminister, der diese Ausweisung forderte, ließ sich von meinen Einwänden jedenfalls nicht beeindrucken, denn seine begriffsvermengende Gedankenkette „radikal und Muslim = Ausländer, die raus müssen“ ist sicherlich wählerwirksam.

Fast genauso irritierend fand ich nach der Sendung eine Mail, die mich zwischen Lobesschreiben für meine „aufklärende Haltung“ und einigen Schmähungen als verirrter Islamliebhaber erreichte. Der Absender schien mir zunächst zweifelhaft, fast hätte ich die Mail nicht geöffnet – was auch an meinem niedrigen gesamtdeutschen Bildungstand liegt. Es handelte sich um eine Nachricht des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. Das Wort „Hygiene“ war die Ursache meines Mistrauens: Handelte es sich um eine der vielen Neonazi-Gruppen des deutschen Ostens? Eine, die es geschafft hat, ihren letzten Gripps zusammenzukratzen und als öffentlichkeitswirksame Provokation ein Museum zur Rassenhygiene gegründet hat?

Irgendwann siegte meine Neugier gegen meinen Widerwillen und ich öffnete die Mail. Ganz freundlich wurde ich gefragt, ob ich nicht einen Beitrag über Gastarbeiter schreiben wolle. Man sei durch die Talkshow, bei der ich so ausgewogen erschien, auf mich aufmerksam geworden. Meine Verwunderung stieg. Islam, Islamismus, Jihadismus, Terrorismus und jetzt Gastarbeiter – wegen meiner Ausgewogenheit. Soll einer mal diese Zusammenhänge verstehen. Meine Vermutung war, dass hinter der Gedankenkette mich einzuladen ein neues Unwort steckte: „Deutscher mit Migrationshintergrund“ – in gewisser Weise der Nachfolger von „Gastarbeiter". Islam, Islamismus, Jihadimus, Terrorismus, ausgewogener Deutscher mit Migrationshintergrund = qualifiziert, um über die Gastarbeiter zu schreiben.

Ich, der in Deutschland geboren in einer ehemals von Hugenotten besiedelten Kleinstadt groß geworden bin. Mit einem Vater, der Geschäftsmann aus alter Familie aus dem Nahen Osten ist und einer Mutter, die so deutsch, nett und gleichzeitig so stur ist, wie es eigentlich nur Westfälinnen sein können – was bitte sollte mich befähigen, etwas über „Gastarbeiter“ zu schreiben? Über das unverschämte Unwort ist ohnehin schon viel von kundigeren Menschen dissertiert und diskutiert worden. Gäste arbeiten nicht. Selbst das von den Nazis, für alle nicht Zwangs- und Sklavenarbeiter, häufig gebrauchte Wort „Fremdarbeiter“ ist vermutlich ehrlicher.

Mein einziger persönlicher Kontakt zu Kindern von Ausländern außerhalb des Familienkreises beschränkte sich während meiner Jugend darauf, vom Sohn des italienischen Eisdielenbesitzers im Schulbus verprügelt worden und dem Sohn eines schwedischen Linien-Piloten beim Judo weit unterlegen gewesen zu sein. Als Gastarbeiterkinder kann man die beiden nicht bezeichnen. Meinen ersten Kontakt zu „Gastarbeitern“ hatte ich, als ich in den Sommerferien in einer Fabrik jobte. Die türkischen und polnischen Arbeiter wurden von den deutschen Vorabeitern nicht sehr höflich behandelt – „Hey Kanake, hey Polake“ wurde da auf Hessisch gebrüllt. Dies zu meiner Qualifikation in Sachen „Gastarbeiter".

Als mir jedoch Freunde erklärten, es handele sich bei dem Hygiene-Museum um eine renommierte Institution, die den Menschen in den Vordergrund stelle, siegte meine Neugier erneut. Ich rief die sehr freundliche Kodirektorin des Museums an, gestand meine Verwunderung über ihre Anfrage und fragte, ob diese etwas mit meinem „Migrationshintergrund“ zu tun habe. Sie interessiere vor allem meine Differenziertheit, entgegnete sie und ich könne einen subjektiven, persönlich gefärbten Beitrag schreiben. Dies tue ich hiermit.

Das irreführende Konzept der „Gastarbeiter“ und die Rolle unserer „ Gäste“ in beiden Nachkriegsdeutschlanden muss natürlich weiter historisch aufgearbeitet werden. Aber nicht von mir. Mich persönlich interessieren andere, wenn auch irgendwie ähnliche Problematiken. Etwa, dass ich 1973 als knapp 8-Jähriger von anderen Kindern wegen meiner arabischen Wurzeln als Terrorist beschimpft wurde. Damals hatte die PLO das schreckliche Attentat bei den Olympischen Sommerspielen in München begangen. Ich beteuerte zwar stets, mit Palästina nichts zu tun zu haben, mein Vater sei Ägypter, aber die Antwort war lediglich: „Ihr Araber seid doch eh alle gleich, alles Terroristen.“ Ich muss bekennen, dass wir Deutsche seit dem Fortschritte gemacht haben. Heute sind nicht mehr alle Araber Terroristen. Es wurde begriffen, dass es unter ihnen auch Christen gibt. Heute sind vor allem alle Muslime potentielle Terroristen, egal ob Araber oder nicht.

Andere Ärgernisse, die mich bewegen, diese Zeilen zu schreiben, sind ist die ständigen Fragen von deutschen Grenzern, aber auch von wichtigen Redakteuren in den Chefetagen renommierter deutscher Medien: „Wo kommen Sie denn her?“ Meine erste Antwort: „Aus Paris, wo ich lebe“ oder, da ich öfter verreise, „aus New York“ oder „aus Johannesburg“, wird zumeist nicht ernst genommen. Es wird gleich weiter nachgefragt: „Nein, wir meinen: wo kommen Sie denn wirklich her?“ Wenn ich dann sage: „Aus Deutschland“, geht die Inquisition gleich weiter. „Wir meinen, wo kommen Sie ursprünglich her, und wenn nicht Sie, dann Ihre Eltern oder Großeltern?“

Ich bin diese Fragerei so leid und wünsche mir eine Selbstverständlichung der Tatsache, dass die Deutschen eben heute nicht alle Müller, Hardenberg oder Kowalski heißen. Im übrigen fordere ich, dass jeder in Deutschland lebende Mensch, auch die Deutsch-Deutschen – noch ein hübsches Unwort – in Schulen und bei Behördengängen künftig auch alle ihren Namen buchstabieren müssen. Das wäre echte Gleichbehandlung.

Aber zurück zu dem eigentlich Thema dieses Papiers, dem neuen Unwort oder präziser: der Kreation eines verbalen Ungetüms, welches gleich aus mehreren Unwörtern besteht „Deutsche mit Migrationshintergrund“. Warum sagt man nicht einfach Einwanderer? In gutem klaren Deutsch.

„Einwanderung bedeutet der Übertritt aus dem einen Staatsgebiet in das andere zum Zweck der dauernden Niederlassung (f .Auswanderung). Je nachdem ob der Einwanderer das Staatsbürgerrecht in dem neuen Heimatland erwirbt oder nicht, unterscheidet man zwischen tatsächlicher und rechtlicher E.“ , so definiert etwa Meyers grosses Konversations Lexikon in seiner Ausgabe von 1906 den Begriff. Das Wort „Migration“ hingegen wird in demselben Band lediglich mit der Tierwelt in Verbindung gebracht. Aber gut, das neudeutsche Wort „Migrant“ mag gerade noch durchgehen, viel viel schlimmer finde ich den „Hintergrund“. Das Konstrukt „Migrationshintergrund“ ist nicht nur unschön, sondern auch ziemlich wertend. „Hintergrund“ hat etwas von nebelhafter, mysteriöser oder sogar krimineller Vereinigung.

Noch schlimmer ist, dass manche Sozialwissenschaftler mit der Förderung von Bundesministerien die Motivationen der „nebelhaften“ Migrantenvereinigungen mit folgenden Worten analysieren und in Milieus einordnen. Etwa ein „vormodernes, sozial und kulturell isoliertes Milieu, verhaftet in den patriarchalischen und religiösen Traditionen der Herkunftsregion“ oder das „prekäre Migranten-Milieu“, das „sozial und kulturell entwurzelte Milieu, das Problemfreiheit und Heimat/Identität sucht und nach Geld, Ansehen und Konsum strebt“, „das hedonistisch-subkulturelle Milieu“ oder das „angepasste Jugendmilieu mit defizitärer Identität und Perspektive, das Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft verweigert.“ [1] Laut der hier zitierten Studie gehören fast die Hälfte der Einwanderer zu diesen drei Gruppen.

Wohl bemerkt wird hier nicht von Menschen mit Eltern aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern geredet, sondern von Migranten, die sich mit wenig lobenswerten Absichten in Deutschland zusammenrotten. Bis zu einem gewissen Grad mag ich gerne eingestehen, dass das statische Bundesamt sich zurecht dafür interessiert, woher Bürgerinnen und Bürger des Einwanderungslandes Bunderepublik Deutschland ursprünglich stammen und welche spezifischen Problem diese Menschen haben – wenn dadurch eine bessere Integrationspolitik entsteht.

Aber bitte nicht mit Termini wie „Deutsche mit Migrationshintergrund“ – ein Begriff, der sich ohnehin nur auf Einwanderer und deren Kinder, die nach 1949 in die Bunderepublik kamen, bezieht.

Wir sollten ganz simpel über Menschen sprechen und nicht über Hintergründe und Milieus, und die Sprache einfach und schlicht halten, ohne ursprünglich lateinische aber vor allem aus den angel-sächsischen Sozialwissenschaften stammende Lehnwörter, wie Migration blind zu übernehmen. Im Englischen macht das Wort Migration natürlich Sinn, weil seit sehr langem das umgangssprachliche Wort für den Wohnsitzwechsel von Menschen oder in Form von Immigration für Einwanderung ist. „Deutsche mit Migrationshintergrund“ ist jedoch nicht nur ein wertendes Unwort oder besser Unbegriff, da aus mehreren Worten bestehend, sondern eine politische Verschleierungstaktik – eine verbaler Nebelwerfer.

Während der eingangs erwähnte bayrische Innenminister gegen besseres Wissen aktiv fordert, radikale Muslime auszuweisen –obwohl er natürlich weiß, dass es sich vor allem um Deutsche handelt, die sich nicht ausweisen lassen – nur um ein paar Wählerstimmen zu ergattern, vermeiden die meisten Politiker, das treffende Wort Einwanderer zu benutzen. Auch wenn natürlich alle wissen, dass Deutschland ein Einwandererland ist, wird das Wort vermieden, um die Stimmen so mancher „Deutsch-Deutscher“ nicht zu verlieren. Dabei sind rund 20 Prozent der Deutschen Einwanderer oder Einwandererkinder, oh Entschuldigung, „Deutsche mit Migrationshintergrund“. Dabei könnte alles sprachlich so einfach sein: ein im Ausland geborener Deutscher, ein Deutscher mit einem oder zwei im Ausland geborenen Eltern. Die Betonung liegt auf Deutscher.

Und wenn Deutschland sich irgendwann eingesteht, dass es wirklich ein Einwanderungsland ist, dann sollte man gewisse Begriffe ganz abschaffen und nur noch von Deutschen reden oder im Falle von in Deutschland lebenden Ausländern, die keine Deutschen werden wollen, von Bunderepublikanern. Menschen, die sich zu unserem Rechtsstaat und zu unserer Grundordnung bekennen. Und wenn wir das geschafft haben, dann ist nicht nur das schlimme Wort „Gastarbeiter“ Historie, sondern wir hätten auch das Selbstverständnis, welches die Deutsche Identität ausmacht, an längst existierende Realitäten angepasst.

Zu guter Letzt habe ich noch eine kurze Frage an das statistische Bundesamt – zu meiner eigenen Identität: Ich lebe in Frankreich. Bin ich jetzt „deutscher Emigrant mit Migrationshintergrund“ oder einfach nur Europäer?