Auf die Wortwahl kommt es an

Ferda Ataman darüber, dass es nicht um politische Korrektheit geht, sondern um journalistische Sorgfaltspflicht.

 

Auf die Wortwahl kommt es an. Das gilt bei Debatten um Migration und Integration im öffentlichen Diskurs ganz besonders. Zwar gibt es einen Konsens darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Dennoch ziehen viele Begriffe eine Grenze zwischen autochtonen Deutschen und Menschen aus Einwander:innenfamilien. Gängige Begriffe wie „Ausländer:innen“, „Zuwander:innen“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ beschreiben ausschließlich die Perspektive der herkunftsdeutschen Mehrheitsbevölkerung und werden mitunter auch für Menschen verwendet, die nicht zugewandert oder fremd und manchmal auch deutsch sind. Das ist hinderlich für das gesellschaftliche Zusammenwachsen.

Derzeit lässt sich zudem eine große Unsicherheit bei Formulierungen beobachten: Warum soll man nicht mehr „Ausländerfeindlichkeit“ sagen dürfen? Ist „Migrant:in“ oder „Ausländer:in“ die richtige Bezeichnung für „Menschen mit Migrationshintergrund“, wenn man letzteren Begriff vermeiden will?

Der Mensch mit Migrationshintergrund gehört inzwischen zur Liste der umstrittenen Begriffe. Als wäre die Formulierung nicht schon sperrig genug, ist bei Sprachsensiblen nun vom sogenannten Migrationshintergrund die Rede. Hier lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: In Österreich läuft ebenfalls eine Debatte über Begrifflichkeiten. 2012 gab es hier die Petition „Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund“. Die Initiative „SOS Mitmensch“ protestiert damit gegen die statistische Definition der Anderen. Allerdings bietet sie keine Alternative, wodurch die Petition nur bedingt erfolgversprechend war.

Was also sind mögliche Alternativen? Die „Neuen deutschen Medienmacher:innen“, ein Zusammenschluss von Journalist:innen, regen zu einer breiten Debatte über diese Frage an. Es gibt zu Recht keine Institution oder Organisation, die für sich in Anspruch nehmen kann, Begriffe festzulegen. Wohl jedoch können und müssen sogar endlich von verschiedenen Seiten neue Ideen kommen, sonst verharren wir in Politik, Medien und Amtsdeutsch noch jahrelang in einer Sprache, die dem Alltag der Bundesrepublik nicht entspricht. Wer heute von „wir Deutschen und die Einwander:innen“ redet, sollte in dem „wir “ auch die hier geborenen Kofis, Dunyas und Bijans meinen. Alles andere wäre sachlich falsch. Es ist also an der Zeit, darüber zu reden, wie wir reden.

Vielleicht gibt es nur eine Faustregel, die man Journalist:innen unumstritten an die Hand geben kann: Wenn es die Möglichkeit gibt, fragen Sie die Vertreter:innen einer Minderheit, wie sie genannt werden wollen. Würden Journalist:innen sich beispielsweise einmal mit Sinti:zze und Rom:nja unterhalten, wüssten sie vermutlich, dass es keine „Rom:nja und Sinti:zze aus Rumänien und Bulgarien“ gibt. Verwendet wird der Begriff „Sinti:zze“ nur in Deutschland, Österreich und bisweilen in Norditalien. In Osteuropa gibt es nur Rom:nja.

Auch die Formulierung „mutmaßliche Islamist:innen“, die man in der Berichterstattung zu Sicherheitsfragen finden kann, zeugt von Unkenntnis. Islamismus meint zunächst nur die Verknüpfung von Islam und Politik und ist nicht gleichzusetzen mit Extremismus und Gewaltbereitschaft. Islamist:in zu sein, ist folglich nicht verboten. Meist sind in der Berichterstattung also „mutmaßliche Terrorverdächtige“ gemeint.

Es geht hier nicht um politische korrekte Formulierungen, sondern lediglich um korrekte Zuschreibungen. Würde der journalistischen Sorgfaltspflicht mehr Genüge getan, gäbe es nicht mehr viele Gelegenheiten, sprachlich anzuecken.

In jüngerer Zeit wurden gleich mehrere Untersuchungen veröffentlicht, die sich mit der Darstellung und Wahrnehmung von Migrant:innen und Muslim:innen befassen. Muslim:innen sind im Diskurs deswegen relevant, weil sie oftmals fälschlich mit Einwander:innen gleichgesetzt werden. Margreth Lüneborg etwa widmete in ihrem 2011 erschienenen Buch "Migrantinnen in den Medien" der muslimischen Frau ein ganzes Kapitel. In ihrer Analyse hält sie fest: Die mediale Darstellung von Musliminnen greife auf ein enges Repertoire der Rollenzuweisung zurück, dominiert von Bildern als "Opfer" und "Integrationsbedürftige". Die verschleierte Frau werde gar zur "Verkörperung religiöser und kultureller Fremdheit und Bedrohung".

Auch die Bildersprache spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie ethnische Minderheiten in Medien dargestellt werden. Ein Bericht über türkische Migrant*innen und ihre Nachkommen in Deutschland? In den meisten Fällen wird er mit Frauen bebildert, die auf dem Haupt ein Kopftuch und in den Händen Einkaufstüten tragen. Doch das Bild einer Frau mit Kopftuch ist für Türk:innen in Deutschland nicht repräsentativ: Nur 28 Prozent aller Muslim:innen tragen hierzulande ein Kopftuch.

Ein anderes Beispiel: Ein Artikel zu den Auswirkungen von Diskriminierung auf Integration wurde kürzlich im Tagesspiegel bebildert mit einem Dönerspieß. Was soll das sagen? Journalist:innen und Bildredakteur:innen sollten sich immer fragen: Was ist mein Thema? Das Bild einer verhüllten Frau bietet sich durchaus an, wenn es zum Beispiel um das Kopftuch geht. Nicht jedoch, wenn es um Altersarmut von Migrant:innen geht.

Oft sind verzerrende Formulierungen nicht der bösen Absicht, sondern Zeitmangel und wenig Auseinandersetzung mit dem Thema geschuldet. Doch genau deswegen braucht es eine Debatte dazu.

Von Ferda Ataman

 

Ferda Ataman ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen. Sie hat Politikwissenschaft in Erlangen und Berlin studiert, die Berliner Journalisten-Schule besucht und u. a. bei Spiegel Online und beim Tagesspiegel gearbeitet. Von 2010 bis 2012 leitete sie das Referat Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, seit 2012 den Mediendienst Integration.

Erschienen im Materialheft "Internationale Wochen gegen Rassismus 2014"