10 Jahre NdM und eine "Goldene Kartoffel“

Die NdM feiern dieses Jahr Jubiläum. Und haben beschlossen, einen Medienpreis für unterirdische Berichterstattung auszuloben.

Die Neuen deutschen Medienmacher:innen feiern dieses Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. Im November wird es genau zehn Jahre her sein, dass Journalist:innen mit und ohne Migrationshintergrund sich zusammengetan haben, um unseren Verein zu gründen und geeint für mehr Vielfalt in den Medien einzutreten.

Unserem Ziel sind wir seitdem ein gutes Stück näher gekommen. In deutschen Redaktionen arbeiten heute mehr Journalist:innen mit internationaler Geschichte als noch vor zehn Jahren. Auch die Berichterstattung über unsere Einwanderungsgesellschaft ist vielfältiger und zum Teil sensibler geworden. Zuletzt hat die #MeTwo-Debatte aufgezeigt, dass es auch in der Medienbranche Diskriminierung aufgrund der Herkunft gibt – und dass sie nicht selbstverständlich hingenommen wird.

Weil es in den Medien nach wie vor vorurteilsbehaftete und diskriminierende Artikel und Sendungen gibt, haben wir beschlossen, einen Medienpreis für besonders einseitige oder missratene, kurz: für unterirdische Berichterstattung über Aspekte unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft auszuloben. Dieser Preis soll an Medien und im Ausnahmefall auch an Journalist:innen verliehen werden, die ein besonders verzerrtes Bild unseres Zusammenlebens zeichnen, indem sie Probleme und Konflikte grob überzeichnen, Vorurteile und Stereotype verfestigen und gegen journalistische Standards verstoßen. Dieser Preis trägt den Namen „Die Goldene Kartoffel“.

Der Preis wird vom ehrenamtlichen Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher ausgelobt. Aus den Beiträgen und Berichten des zurückliegenden Jahres wählen sie diejenigen als Preisträger:innen aus, die den genannten Kriterien ihrer Meinung nach am meisten entsprechen. Vorschläge von Mitgliedern oder aus dem Netzwerk der Neuen deutschen Medienmacher:innen geben die Grundlage dafür.

Die „Goldene Kartoffel“ wird in diesem Jahr das erste Mal verliehen, im Rahmen der Bundeskonferenz der Neuen deutschen Medienmacher:innen am 3. November 2018 in Berlin. Hier wird der Preisträger mit einer feierlichen Verleihung und einer Laudatio durch die NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar offiziell gewürdigt.

 

Erster Preisträger der „Goldenen Kartoffel“ ist Julian Reichelt. Die Jury hat sich für den Chefredakteur der BILD-Zeitung entschieden, weil seine Arbeit in jeder Hinsicht den oben genannten Kriterien für diesen Preis entspricht.

Zur Begründung des Vorstands (Jury):

BILD ist aus unserer Sicht fortschrittlich, wenn es darum geht, die Vielfalt in der Gesellschaft unverkrampft und selbstverständlich darzustellen (etwa in Vox-Pops). Doch mit Julian Reichelt hat die BILD-Zeitung in kürzester Zeit eine Rolle rückwärts gemacht. Unter seiner Ägide steht das Blatt nun wieder konsequent für all das, wogegen sich die Neuen deutschen Medienmacher:innen einmal gegründet haben: BILD steht für Unsachlichkeit, Vorurteile und Panikmache, wenn es um die Themen Integration, Migration und Asyl geht, für doppelte Standards in der Berichterstattung über Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und für einen stark ethnozentrischen Blick auf unsere Einwanderungsgesellschaft und deren Herausforderungen.

Fehlende Sachlichkeit, Vorurteile und Panikmache zeigen sich in der Art und Weise, wie unterschiedlich groß BILD über Kriminalität oder Terror berichtet, je nachdem, ob die mutmaßlichen Täter einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Sie zeigen sich daran, wie alarmistisch über Geflüchtete berichtet wird. Oder wenn immer wieder der Eindruck erweckt wird, unser Staat sei zu schwach, um geltendes Recht gegenüber Geflüchteten durchzusetzen – ein mangelndes Durchgreifen des Staates gegenüber Rechtsextremen wird dagegen nicht thematisiert. Der sichtbare Rechtsruck wird bedenklich kleingeredet.

Doppelte Standards zeigen sich aber auch andernorts. Beispielhaft dafür stand in diesem Jahr der Umgang des Blatts mit dem Fußballspieler Mesut Özil, der nach seinem – in der Tat kritikwürdigen – Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zur Zielscheibe einer wochenlangen Kampagne wurde, die von rassistischen Untertönen nur so strotzte. Die Anfeindungen gegen Mesut Özil haben letztlich die #MeTwo-Debatte ausgelöst, mit der in den sozialen Medien der Alltagsrassismus in Deutschland thematisiert wurde.

 

All diese Aspekte haben den Vorstand der „Neuen deutschen Medienmacher“ zu der Überzeugung gelangen lassen, dass an Julian Reichelt als Preisträger für die „Goldene Kartoffel" in diesem Jahr kein Weg vorbeiführt. Er hat sich diesen Preis redlich verdient. Zur Preisverleihung am Samstag, den 3. November, im Südblock in Berlin-Kreuzberg ist er eingeladen. Wir würden uns sehr freuen, ihn persönlich zu begrüßen und ihm die „Goldene Kartoffel“ zu überreichen.

 

Pressevertreter:innen können sich gern zur Verleihung der „Goldenen Kartoffel“ am Abend der Bundeskonferenz der Neuen deutschen Medienmacher:innen anmelden.

 

NdM Vorstand

Berlin, 23. Oktober 2018

 

Ein paar Worte zu der Namensgebung der „Goldenen Kartoffel“:

Weil damit eine besonders unterirdische Berichterstattung ausgezeichnet werden soll, erschien uns dieses Nachtschattengewächs, das bekanntlich unter der Erde heranwächst, als idealer Namensgeber. Außerdem ist „Kartoffel“ eine durchaus liebevolle Bezeichnung für Mitbürger:innen ohne Migrationshintergrund, die sich durch mangelnde interkulturelle Kompetenz und einen stark ethnozentrisch geprägten Blickwinkel hervor getan haben. Nicht zuletzt steht die Kartoffel aber auch für die Vielschichtigkeit kultureller und nationaler Identitäten. So steht die Kartoffel heute im Ausland zwar stellvertretend für die deutsche Küche. Aber sie hat selbst eine Einwanderungsgeschichte: Sie stammt ursprünglich aus Südamerika und wurde erst von den Spanier:innen nach Europa und von Friedrich dem Großen in Preußen eingeführt. Man kann die Kartoffel daher auch als Metapher dafür verstehen, dass alle Menschen letztlich Einwander:innen sind, ob sie nun Meier oder Müller, de Maizière, Sarrazin, Buschkowski oder Özil heißen. Die Frage ist nur, in welcher Generation sie schon hier beheimatet sind.