Öffentlich-rechtliche Talkshows sind kartoffelwürdig

Die Laudatio zur "Golden Kartoffel 2019" von der Jury-Vorsitzenden Sheila Mysorekar: Über unterirdische Berichterstattung in politischen Talkshows.

Preisverleihung Goldene Kartoffel 2019

Liebe Neue und weniger neue deutsche Medienmacher und Medienmacherinnen, liebe Gäste:

Ich freue mich, Sie und Euch alle im Namen der Neuen deutschen Medienmacher:innen zu begrüßen. Wir feiern die Verleihung des aufregendsten Medienpreises der Republik, nämlich der: Goldenen Kartoffel! Ein Medienpreis für unterirdische Berichterstattung, die ein besonders verzerrtes Bild unseres Zusammenlebens in der Einwanderungsgesellschaft zeichnet, indem sie Probleme und Konflikte grob übertreibt, Vorurteile verfestigt und gegen journalistische Standards verstößt.

And the Media Prize Golden Potato 2019 goes to...!

Wir haben euch – inspiriert vom Preisträger - natürlich einen Einspieler gemacht.

Im vergangenen Jahr hat Julian Reichelt, der Chefredakteur der BILD, diesen Preis erhalten. Damit lag die Latte schon sehr hoch. Viele Leute meinten, Reichelt habe alles dafür getan, auch dieses Jahr wieder mit der begehrten Goldenen Kartoffel ausgezeichnet zu werden.

Klar: BILD hat ein Dauer-Abo auf unseren Kartoffel-Preis. Wie auch haufenweise rechte Publikationen und verschwörungstheoretische Blogs. Aber dieser Preis geht an journalistische Medien, an Profis. Und nicht an Blogbetreiber mit Alu-Hut.

Wir Neuen deutschen Medienmacher:innen haben uns diesmal ein kartoffelwürdiges Medium ausgesucht, dass per definitionem ‚unseres’ sein sollte, nämlich das öffentlich-rechtliche Fernsehen – und hier haben wir ein bestimmtes Format für preiswürdig befunden: die politische Talkshow.

Im Gegensatz zu BILD oder auch privaten Fernsehsendern, deren Existenzberechtigung einfach darin besteht, Geld zu verdienen, haben die öffentlich-rechtlichen Sender eine andere Funktion. Ich zitiere:

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den verfassungsrechtlich vorgegebenen Auftrag, einen Beitrag zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu leisten und so zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beizutragen.“

Hier kommen die politischen Talkshows ins Spiel. Da werden wichtige Leute eingeladen, Experten und Politikerinnen, die über ein wichtiges Thema debattieren, und nach dem Gucken ist man schlauer. So der Plan.

Aber leider sind die politischen Talkshows offenbar zu einem Geschäft geworden, in dem es um Quoten und Polarisierung geht; wo AfD-Politiker Stammgäste sind und ihre Themen und Wortwahl die Debatte bestimmen.

Wo ein Viertel der Bevölkerung – nämlich Menschen aus Einwandererfamilien, also wir! – fast nur als Sicherheitsrisiko, Kriminelle oder religiöse Fanatiker vorkommt.

Liebe Öffentlich-Rechtlichen, warum? Wenn BILD so was macht – na gut.

Aber ihr doch nicht! Ihr seid doch die Seriösen, die Guten! Talkshows sollen Debatten für uns alle sein – und keine Gesprächstherapie für Schlipsnazis.

Liebe Gäste: Diese Goldene Kartoffel ist ein Fall enttäuschter Liebe. Wir sind Fans des öffentlich-rechtlichen Rundfunks! Wenn dann ausgerechnet die Talkshows von ARD und ZDF Rechtsradikalen und Rassisten immer wieder Sendezeit schenken, hingegen nur selten ernstzunehmende Vertreter und Vertreterinnen ethnischer und religiöser Minderheiten einladen, dann ist das wirklich bitter.

Die Goldene Kartoffel 2019 geht damit an:

  • hart aber fair (Frank Plasberg, ARD)
  • maischberger (Sandra Maischberger, ARD)
  • Anne Will (Anne Will, ARD)
  • maybrit illner (Maybrit Illner, ZDF)

Hier einige Beispiele, warum:

Sandra Maischberger fragt, im Teaser zu ihrer Sendung am 6.Juni 2018:

„Ist die Angst vor Islamisierung reine Panikmache?“

Wir spielen jetzt mal „Finde den Fehler“. Also: „Ist - die - Angst - vor - Islamisierung - reine - Panikmache?“

Erstens ist dies eine Suggestiv-Frage, und Suggestiv-Fragen sind schlechter Journalismus. Hier wird impliziert: Nein, die Angst vor Islamisierung ist keine Panikmache, sondern beruht auf einer vernunftgesteuerten Analyse, die zu dem absolut rationalen Schluss führt, dass die Islamisierung Europas unmittelbar bevorsteht. Der Untergang des Abendlandes ist schon nächste Woche! Zur gleichen Sendezeit!

Zweites Problem: Das Wort "Islamisierung". What?!?

"Islamisierung" ist ein Kampfbegriff der Rechtsradikalen. "Islamisierung" ist das Äquivalent zu "Verjudung"!

Ein anderes Mal fand das Maischberger-Team, man müsse über die Frage diskutieren: „Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?“ Weil es Kritik hagelte, änderte sie den Titel um in „Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“

Unsere Toleranz endet bei solchen Themensetzungen.

Beispiel Maybritt Illner. Hier durfte AfD-Chef Gauland immer wieder die harmlose Bürgerlichkeit seiner AfD betonen. So sagte er im Mai bei Illner, dass Bernd Höcke „kein Rechtsextremist, sondern ein Nationalromantiker sei“. Hätte es in den 30er Jahren schon Talkshows gegeben, hätte Hitler das Gleiche auch über Goebbels sagen können. "Nationalromantiker"!?! Wenn Gauland so etwas über einen bundesweit bekannten Rechtsextremen sagt, wieso schmeißt Illner ihn nicht sofort raus? Sie ist doch die Gastgeberin! Security herbeipfeifen und Gauland freundlich, aber energisch hinausführen lassen. Und dann Hausverbot aussprechen. Das wäre mal ein klares Zeichen, dass die Verharmlosung von Rechtsextremen nicht geduldet wird. Oder noch konsequenter: solche Leute gar nicht einladen. Aber diese Idee ist euch noch nicht gekommen, oder?

Stattdessen sitzen Rechtsaußen-Provokateure seit Jahren in den Talkshows rum und beklagen sich gleichzeitig, dass ihnen der Mund verboten würde. Wohlgemerkt: Sie sagen das in die Kamera, zur besten Sendezeit.

Kommen wir zu unserem, eehm, "Liebling", Frank Plasberg: Nachdem Alexander Gauland sagte, „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, war Plasberg der Einzige, der fand, das gehe zu weit. Den Naziverharmloser Gauland lade er nie wieder ein, hatte er angekündigt. Doch was macht er stattdessen?

Am 1. Juli dieses Jahres, rund vier Wochen nach dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, gab es eine „Hart aber Fair“-Sendung mit dem Titel: „Aus Worten werden Schüsse – wie gefährlich ist rechter Hass?“

Zu Gast war der rheinland-pfälzische AfD-Chef Uwe Junge. Jener Herr Junge, der offen in den sozialen Medien androhte, dass „der Tag kommen wird“, an dem alle Gegner „zur Rechenschaft gezogen“ werden. Der bekennende Faschismus-Freund bekam mehr Redezeit als alle anderen Gäste zusammen und konnte unwidersprochen und in Ruhe ausbreiten, dass linke Gewalt genauso gefährlich sei wie Gewalt von rechts. Genau. Zum Beispiel die Linksradikalen vom NSU.

Und unvergessen bleibt natürlich der Plasberg-Talk dieses Jahr mit der offenen Frage: „Heimat Deutschland - nur für Deutsche oder offen für alle?“

Kartoffelwürdig sind aber nicht nur die rassistischen Fragestellungen der Sendungen und dass sie oftmals eine kostenlose Werbeplattform für rechtspopulistische Standpunkte bieten.

Kartoffelwürdig finden wir auch die Auswahl der Gäste: wer darf hier sprechen – und wer nicht? Wer wird repräsentiert – und wer nicht?

Nach der Landtagswahl in Brandenburg und Sachsen vor zwei Monaten, als fast ein Drittel der Wähler die AfD gewählt hatte, saßen bei Anne Will sechs weiße Gäste und plauderten gemütlich. Als würde es keine Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder andere Minderheiten im Osten geben, für die die Wahl von Rechtsradikalen ein – wie sagt man es am Besten? – ein kleines Sicherheitsrisiko darstellt. Stattdessen saß da, wieder einmal, Alexander Gauland und erklärte, dass seine Partei die Neue Mitte sei.

Ein weiteres Beispiel: 2019 lud Sandra Maischberger bisher insgesamt 143 Gäste ein. Lediglich 10 Leute hatten einen sichtbaren Migrationshintergrund; das sind 7 %.

Das heißt, die Repräsentation ethnischer und religiöser Minderheiten ist mehr als unterirdisch. Vorzugsweise werden Krawallschachteln eingeladen, die Quoten bringen, aber ein völlig verzerrtes Bild der Realität abgeben.

2016 lud Anne Will beispielsweise die vollverschleierte Schweizer Islamistin und Konvertitin Nora Illi ein. Da saß also diese fundamentalistische Schweizerin mit einem schwarzen Betttuch über dem Kopf auf der Talkshow-Couch und repräsentierte muslimische Frauen in Deutschland – muslimische Frauen, die bei Anne Will äußerst selten zu Wort kommen. Aber wenn, dann gerne eine Extremistin.

Das ist nur ein Beispiel von sehr, sehr, sehr vielen. Da gibt es keinen Zweifel: Die Repräsentation ethnischer und religiöser Minderheiten ist mehr als unterirdisch. Schwarze Menschen sieht man so gut wie gar nicht. Die AfD kann sich also fast immer ausschließlich mit anderen Volksdeutschen streiten.

Kleine Zeitreise in die 60er Jahre: Wenn da im Fernsehen jemand klugscheißen durfte, dann immer nur Männer. Heutzutage, 2019, dürfen immerhin auch Frauen dummes Zeug verbreiten, siehe Alice Weidel. Oder Alice Schwarzer.

Für uns sieht das Fernsehen immer noch nach 60er Jahren aus. Da sitzen fast nur weiße Leute!

Aber: Auch wir zahlen Gebühren. Es sind auch unsere öffentlich-rechtlichen Sender. Wir wollen uns in jeder Sendung wiederfinden. In jeder! Und zwar nicht nur, wenn es um Islamismus geht.

Der Kartoffel-Jury ging es nicht nur um die Sendungen, die zu blauäugig mit Rassismus oder Rechtspopulismus umgegangen sind, sondern auch um die Talkshows, die es hätte geben sollen: Wir vermissen Sendungen zu den Themen Migration, Integration und Rassismus, die aufklärend und kritisch mit dem aktuellen Diskurs umgehen. Nach rechtsradikalen Attentaten vermissen wir Sendungen, wo Betroffene über ihre sehr berechtigte Angst um ihr Leben und die Sicherheit ihrer Kinder sprechen dürfen, und nicht irgendwelche Faschismusgefährdeten über ihre Ängste vor „Überfremdung.“

Und, last but not least: wann kommt endlich eine Sendung über kriminelle Deutsche?

Aber ich will nicht unfair sein: Es gibt durchaus eine positive Entwicklung bei den genannten TV-Talkshows, denn es war auch schon mal noch schlimmer als im letzten Jahr.

Tiefpunkt war das Jahr 2016: Rechtspopulisten bestimmten in hohem Maße die Themen, auch dann, wenn die AfD nicht selbst im Fokus stand. In insgesamt 141 Polit-Talkshows ging es 40-mal um Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik, 15-mal um den Islam, Gewalt und Terrorismus, und 21-mal um Populismus, vor allem von rechts.

Da hat sich einiges verbessert – auch andere Themen kommen vor. Aber das Framing ist ähnlich geblieben: Wann immer es um Geflüchtete oder „den Islam“ geht, dann im Zusammenhang mit Kriminalität, Terrorismus und Sicherheit. Ein Hart-aber-fair-Titel wie „Bringt Härte gegen Zuwanderer mehr Sicherheit?“ ist symptomatisch dafür.

Ein Titel wie: „Bringt Härte gegen Nazis mehr Sicherheit?“ ist dagegen – komischerweise – undenkbar.

Wir geben gerne die gute Absicht der Talkshow-Teams zu: sie haben sich „stets bemüht“. Es gibt auch qualitative Unterschiede zwischen den vier prämierten Talkshows. Aber für alle gilt: unsere Ansprüche an das öffentlich-rechtliche Fernsehen sind höher als an BILD.

Ich fasse zusammen: Viel Raum für rechtspopulistische Politiker, dafür fehlende Repräsentanz ethnischer und religiöser Minderheiten bei den Gästen und damit die Verzerrung der bundesrepublikanischen Realität zeichnen die öffentlich-rechtlichen Talkshows aus. Sie erfüllen damit nicht ihren verfassungsrechtlich vorgegebenen Auftrag.

All diese Aspekte haben den Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen überzeugt: Sie entsprechen den Kriterien für diesen Preis.

Die öffentlich-rechtlichen Talkshows haben sich die „Goldene Kartoffel“ redlich verdient. Applaus!!

Lieber Herr Plasberg, liebe Frau Maischberger, liebe Frau Will, liebe Frau Illner: fühlen Sie sich in Abwesenheit gegrüßt und gewürdigt!

Da leider niemand gekommen ist, um dieses wunderschöne Juwel entgegenzunehmen:

Im Vorfeld haben wir den vier Prämierten mitgeteilt, dass ihre Talkshowsnicht sie als Personen! - die Goldene Kartoffel erhalten; und wir haben sie für heute Abend eingeladen.

Alle vier halten die Auszeichnung pauschal für unangebracht und unsere Begründung für – zu pauschal. Aber alle vier haben die Neuen deutschen Medienmacher:innen eingeladen, um mit ihnen und ihren Redaktionen offen über unsere Kritikpunkte zu diskutieren.

Ich finde, das verdient einen Applaus!

Alle Medienhäuser und Medienmacher, die dieses Jahr leer ausgehen mussten, möchte ich auf nächstes Jahr vertrösten, auf die „Goldene Kartoffel 2020“.

Vielen Dank, dass Ihr alle gekommen seid - zur Verleihung des best media prize ever!
 

NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar hält die Laudatio

 


Pressespiegel und Fotos zur Veranstaltung

Ankündigung der Preisverleihung im Rahmen der Bundeskonferenz 2019