Rechtspopulistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete prägt den politischen und medialen Diskurs. Zum Weltflüchtlingstag rufen die Neuen deutschen Medienmacher*innen zu einer Vermenschlichung der Asyldebatte auf. Denn gewaltvolle Debatten können reale Gewalt zur Folge haben.
Geflüchtete und jene, die dafür gehalten werden, erleben derzeit ein erschreckendes Maß an öffentlichen Anfeindungen, Pauschalisierungen und Verdächtigungen.
Die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Geflüchteten zeigt sich beispielsweise, wenn der Bundeskanzler auf dem Cover des größten Nachrichtenmagazins fordert, „im großen Stil abzuschieben“, wenn politische Akteur*innen aufgrund von Straftaten Einzelner ganze Herkunftsgruppen stigmatisieren oder mediale Debatten darüber geführt werden, ob Geflüchtete nach Ruanda geschickt werden sollten.
Diese Diskursverschiebung zu Lasten ohnehin schon marginalisierter Menschen ist gefährlich. Denn diskursive Gewalt kann in realer Gewalt enden. Die Zahl der Straftaten gegen Geflüchtete ist laut Bundesinnenministerium im letzten Jahr um 75 Prozent angestiegen, und die jüngsten rassistisch motivierten Angriffe zeigen, welche gewaltvollen Ausmaße Menschenfeindlichkeit annehmen kann.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen rufen Medienschaffende auf, ihrer demokratischen Verantwortung gerecht zu werden. Statt sich auf der Jagd nach Klicks und Aufmerksamkeit an ausgrenzenden Debatten zu beteiligen, sollten Journalist*innen sich auch in der Berichterstattung über Flucht und Migration auf die professionellen Grundlagen ihres Berufs besinnen.
Menschen statt Kampagnen
In der Asylberichterstattung geht es viel zu oft um populistische Forderungen einzelner Politiker*innen und viel zu selten um Geflüchtete selbst.
Wir brauchen mehr Beiträge, die Geflüchtete in den Fokus nehmen, sie miteinbeziehen, Fluchtursachen oder Fluchtgeschichten beschreiben und Individuen zeigen, statt Menschenmassen. Verantwortungsvoller Journalismus zeigt Menschen statt Entmenschlichung.
Aufklären, nicht aufwiegeln
Antisemitismus, Asylrecht, Kriminalität, Demonstrationen in Deutschland… In Teilen von Politik, Öffentlichkeit und Medien werden gerade Themen zusammengeworfen, die oft wenig miteinander zu tun haben. So entsteht das Bild einer diffusen Bedrohung, die häufig rassistisch konnotiert ist und insbesondere von rechtspopulistischer Seite genutzt wird, um weitere Repressionen gegenüber migrantischen Gruppen und Geflüchteten zu fordern. Journalist*innen stehen in der Verantwortung, auf diese Entwicklung hinzuweisen und sie kritisch einzuordnen, nicht sich an ihnen zu beteiligen und sie ohne Kontextualisierung zu reproduzieren. Medienschaffende können und sollen auch auf die problematischen Folgen von Migration hinweisen. Aber sie sollten dies sachlich, präzise und faktenorientiert tun.
Grundrechte sind keine Frage von Pro und Contra
Die Diskussion über Flucht und Migration hat ihre Grenze überschritten, wenn Grundrechte infrage gestellt werden oder zur Gewalt aufgerufen wird. Wenn beispielsweise Politiker*innen in Interviews fordern, man müsse „mit physischer Gewalt irreguläre Migrationsbewegungen aufhalten“, sollten Redaktionen das nicht ohne kritische Einordnung reproduzieren. Gleiches gilt für Forderungen, das individuelle Asylrecht auszusetzen oder Geflüchtete ohne Verfahren nach Ruanda abzuschieben. Hier müssen Journalist*innen auf die grundgesetzwidrigen Implikationen hinweisen, anstatt die Erosion von Grundrechten zu einem legitimen Debattenbeitrag zu verklären. Aufklären können Asylrechtsexpert*innen, die juristisch und faktenbasiert einordnen und damit Debatten versachlichen.
Mehr als Krieg und Kriminalität
Eine groß angelegte Untersuchung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Medienberichterstattung über Flucht und Migration in den Jahren 2016 bis 2020 zeigte: Medien berichten vor allem dann über Flucht und Migration, wenn es um Negativthemen wie Terror und Kriminalität geht. Über Gewalt gegen Geflüchtete wird hingegen kaum berichtet (in 13 Prozent der Beitrage wurde über Kriminalität von Geflüchteten berichtet und nur in drei Prozent über Straftaten gegen Geflüchtete). Die Lebenswirklichkeit Millionen geflüchteter Menschen in Deutschland bleibt weitgehend unsichtbar.
Journalist*innen sind in der Pflicht, unsere Einwanderungsgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt abzubilden. Dazu zählen selbstverständlich auch Perspektiven von Geflüchteten selbst.
Verantwortung gerecht werden
Die Folgen medialer Zerrbilder bekommen die betroffenen Menschen im realen Leben zu spüren. Auch dessen sollten sich Medienschaffende bewusst sein. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die rassistischen Gewaltwellen der 1990er Jahre. Ihr ging eine rassistische „Asyldebatte“ voraus. Auch jetzt erleben migrantisierte Menschen und ihre Einrichtungen in Deutschland einen Anstieg von Hasskriminalität und Gewalttaten. Nicht zuletzt mit Blick auf die Sicherheit aller in Deutschland lebenden Menschen sollten Politik, Medien und Öffentlichkeit jetzt alles tun, um eine weitere Radikalisierung der Debatte und eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern.
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