Let's talk about Klassismus
Newsletter vom 20. November 2025
Hallo zusammen,
Debatten über „Stadtbild“ und Haftbefehl füllen seit Wochen die Schlagzeilen.
Für alle durchgerutschten Themen und Fragen gibt es diesen Newsletter von uns. Wir sprechen mit Journalistin Isabelle Rogge über Klassismus in den Medien (bitte keine Poverty Porn-Texte, liebe Redaktionen), einen verantwortungsvolleren Umgang mit KI im Journalismus, Glaubensvielfalt und wie sie im Fotojournalismus dargestellt wird, und so viel mehr.
Wir sammeln auch Praktisches, was sonst untergeht: Jobs, Stipendien, Preise, Veranstaltungen und Recherchen, die euch in Redaktionen, Projekten und im Alltag konkret helfen. (Aber das ist tatsächlich nur für Mitglieder reserviert. Bist Du schon Mitglied?)
Los geht’s mit der Ausgabe.
Eure Neuen deutschen Medienmacher*innen
Was gibt's Neues?
Klare Regeln für KI im Journalismus Wird KI in der Berichterstattung eingesetzt, braucht es dafür klare redaktionelle Richtlinien. Bei der diesjährigen #MTM25 haben Jutta und Elena einen Vortrag darüber gehalten, was KI (noch) nicht kann: Haltung, Kontext und Verantwortung im Journalismus übernehmen. Vertiefende Einblicke in unser Projekt BetterPost gibt Jutta in diesem Podcast-Interview. Ansonsten geht’s hier entlang zu unserer Zusammenfassung auf LinkedIn – mit unseren Learned Lessons, die wir mit Euch für Euren Arbeitsalltag teilen möchten.
Gemeinsam für demokratische KI Gemeinsam mit 75 zivilgesellschaftlichen Organisationen haben wir den Code of Conduct für eine demokratische KI unterzeichnet. Worum es geht: Wir fordern Transparenz, Schutz vor Diskriminierung und das klare Bewusstsein, dass KI niemals neutral ist, sondern existierende Machtstrukturen widerspiegelt. Der Kodex zeigt, wie KI Prozesse unterstützen kann, ohne die demokratische Teilhabe zu gefährden. Mehr dazu
Mentoring@NRW 13 Mentees haben ihr Programmjahr beendet. Beim Abschlussevent ging es um Redaktionsbesuche, Workshops, erste Praktika, neue Netzwerke und viel gegenseitige Bestärkung. Das Ergebnis ist klar: Das Mentoring öffnet Türen, baut Hürden ab und schafft ein starkes Netzwerk junger Journalist*innen in NRW. Mehr dazu
„So glaubt Berlin“ Wie wird Religion in den Medien gezeigt und was bleibt unsichtbar? Mit unserer Kampagne „So glaubt Berlin“ zeigen wir, wie vielfältig Glaube in der Hauptstadt gelebt wird. Aktuell siehst Du auf Instagram und LinkedIn Einblicke in selten gezeigte Glaubensrealitäten: von Sikhismus über Candomblé bis zu queeren religiösen Identitäten. Wichtig: Die Fotos der kooperierenden Fotojournalist*innen werden bis Jahresende auf Gesellschaftsbilder.de veröffentlicht und stehen Redaktionen dort für eine diskriminierungssensible Bildberichterstattung zur Verfügung.
Auf dem Radar
Gezielte Angriffe auf NGOs Der Film von LobbyControl beleuchtet, wie rechte Netzwerke und Lobbyakteure mit Desinformation, Diffamierung und Druckmitteln gegen zivilgesellschaftliche Organisationen vorgehen. Mehr dazu
Frauen in Führungspositionen Die neue ProQuote-Studie zeigt: Der Frauenmachtanteil im Journalismus sinkt erneut und liegt bei nur 37,8 Prozent. Besonders schwach schneiden Regionalzeitungen, Privatfunk und Onlinemedien ab, die teils unter 20 Prozent liegen. Mehr dazu
Tödliche Polizeigewalt. Lorenz und die Einzelfälle Journalist Hubertus Koch untersucht in seiner Doku die Strukturen hinter tödlicher Polizeigewalt. Im REDE!-Podcast spricht er über seine Recherchen und wie sich sein Blick auf Staat und Medien verändert hat. Mehr dazu
NotebookLM für Faktenchecks Ein Tool-Tipp von Franzi von Kempis! NotebookLM arbeitet nur mit eigenen Quellen. Ideal für schnelle Faktenchecks und die Auswertung großer Dokumentenmengen (PDFs, Webseiten) – einfach hochladen und befragen. Mehr dazu
Clickbait hinter den Kulissen Eine Ex-Redakteurin erzählt bei Übermedien, wie Reichweitendruck zu aufgeblähten Schlagzeilen führt und journalistische Qualität verdrängt. Mehr dazu
Wie berichten Medien über nicht-binäre Personen? Eine EJO-Analyse zeigt: Leitmedien misgendern häufig. Neutrale Formulierungen werden genutzt, Neopronomen kaum. Mehr dazu
Repräsentation in Medien Eine neue Civey-Umfrage zeigt: Nur rund jede*r Zehnte fühlt sich in deutschen Medien repräsentiert. Das Gefühl mangelnder Sichtbarkeit ist besonders im Osten und unter Studierenden groß. Mehr dazu
3 Fragen an
Isabelle Rogge arbeitet als Journalistin, Moderatorin und Produzentin für Video- und Podcastformate sowie als Dozentin für Wissenschaftskommunikation. Sie setzt sich in ihrer Arbeit mit den Themen Popkultur, Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Klassismuskritik auseinander.
Ihr Ziel ist es, komplexe gesellschaftliche und wissenschaftliche Zusammenhänge für Menschen unabhängig von ihrem Bildungsgrad zugänglich zu machen und konstruktive Debatten für mehr Gerechtigkeit anzustoßen.
Wie zeigt sich Klassismus in den Redaktionen?
Als freie Journalistin werde ich manchmal von Redaktionen angeschrieben, dass ihnen innerhalb der festen Redaktion die Betroffenheitsperspektive fehlt und ob ich nicht einen Text zum Thema XY und Armut schreiben könne. Ich gehe darauf ein, solange von mir kein Poverty-Porn-Text erwartet wird, sprich: ich schreibe über Armut, wenn ich anhand meiner Biografie und Expertise die systemischen Fehler aufzeigen kann. Nicht, damit sich Menschen der Mittel- und Oberschicht einen voyeuristischen Blick in Wohnungen erlauben dürfen, die sie selbst nie betreten. An den Anfragen zeigt sich, dass es innerhalb der Redaktionen an Menschen mit Armutserfahrungen fehlt, was sicherlich daran liegt, dass es für Menschen mit wenig Geld schwer ist in einer Welt Fuß zu fassen, in die man vor allem durch nicht oder schlecht bezahlte Praktika, Volontariate und mit Verbindungen gelangt.
Wie erkennst Du, ob eine Berichterstattung über Armut von Menschen gemacht wurde, die sie nie erlebt haben?
Armut ist vielfältig. Besonders betroffen sind Rentner*innen, Kinder und Jugendliche, Menschen mit Care- und Pflegeverantwortung und Menschen mit Behinderungen. Auch Migration kann ein Faktor sein. Die meisten Armutsbetroffenen leisten sehr viel für unsere Gesellschaft, aber ihre Erwerbs- und Carearbeit ist unter- bis gar nicht bezahlt. Und selbst wenn Menschen gerade nichts zur Wirtschaftsleistung beitragen können, sollten sie nicht in Armut leben müssen. Wenn das nicht eingeordnet wird, werde ich schnell skeptisch. Ebenso wenn in einer Talkshow vor allem Menschen, die nie mit wenig Geld auskommen mussten, über Menschen in Armut sprechen.
Welche Geschichte über Armut würdest Du gern einmal z.B. in der Tagesschau sehen?
„Die Bundesregierung beschließt eine großzügige Kindergrundsicherung, um Kinderarmut zu bekämpfen und setzt Sanktionen für Grundsicherungsempfangende aus.” Da das sehr unwahrscheinlich scheint, würde ich mich schon über regelmäßige Einordnungen freuen, inwiefern die aktuelle Regierungspolitik die Ungleichheit zwischen Armutsbetroffenen und reichen Menschen in Deutschland verstärkt.
Klassismus Diese Woche widmen wir uns auf Instagram dem Thema in seiner ganzen Breite: Hürden im Einstieg, weitere Fragen mit Isabelle und Better-Practice-Beispiele für eine bessere Berichterstattung über Armut.
Mehr davon, danke
Das Thema: Zwischen Zweifel, Zugehörigkeit und Erwartungsdruck
Das ARD-Radiofeature „Losing my religion?“ zeigt, wie vielfältig junge Muslim*innen heute mit Religion umgehen – von persönlichen Glaubenskrisen bis zu individuellen Formen von Spiritualität. Die Doku macht sichtbar, wie sehr religiöse und nicht religiöse Muslim*innen gleichermaßen mit Erwartungen, Vorurteilen und antimuslimischem Rassismus konfrontiert sind.
Warum das wichtig ist?
Weil die Recherche ein Bild korrigiert, das in der öffentlichen Debatte hartnäckig hält: eine homogene, fromme muslimische Community. Stattdessen zeigt sie konkrete Lebensrealitäten, Konflikte und Brüche und schafft Raum für Stimmen, die sonst kaum gehört werden.