Newsletter vom 17. Juli 2025

Quo vadis, Willkommenskultur?

10 Jahre "Wir schaffen das!" - Was hat sich getan?

Hallo zusammen,

ich kannte das syrische Restaurant “Malakeh” schon, bevor Angela Merkel dort mit einem Team von WDRforyou Tee getrunken hat. Während Merkel dort öffentlich über ihre Migrationspolitik reflektiert hat, haben wir uns um die Gegenwart gekümmert: Wir haben eine Stellungnahme veröffentlicht – über die Diskursverschiebung von “Wir schaffen das” zu “Wir schieben im großen Stil ab” und was wir dagegen tun können. Wir waren bei der No Hate Speech Week in Straßburg und haben mit Kolleg*innen aus ganz Europa darüber gesprochen, wie sich digitale Räume schützen lassen. Mehr dazu unten. Und wir haben Workshops gegeben, saßen auf Panels (in Kirchen und in Universitäten) und haben in Podcasts unsere Expertise weitergegeben.

Des Weiteren: Ein Interview mit Sanaz Saleh-Ebrahimi über SLAPP-Klagen und Darmgesundheit. Und selbstverständlich gibt es wieder Veranstaltungen und Ausschreibungen nur für unsere Mitglieder. Wenn Ihr gerade Fomo spürt, dann gibt’s hier Abhilfe.

Los geht’s.
Deine Neuen deutschen Medienmacher*innen

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Was gibt's Neues?

Gegen Hass im Netz in Straßburg und Hamburg
Zwei Orte, ein Ziel: Bei der No Hate Speech Week 2025 des Europarats in Straßburg war NdM mit zwei Workshops zu Medienverantwortung und europäischer Vernetzung vertreten. Ein starker Auftritt für unser Projekt BetterPost, als Teil von toneshift – Netzwerk gegen Hass im Netz und Desinformation. toneshift ist ein Zusammenschluss von Das NETTZ, GMK, HateAid, IDZ, REspect! und uns. Außerdem sprachen Jutta und Eda von NdM mit Nachwuchsreporter*innen an der Henri-Nannen-Schule über den Umgang mit Shitstorms. Mitgebracht haben sie unseren Schutzkodex, einen Diversity-Check für Redaktionen und einen gemeinsam entwickelten Leitfaden gegen Hass im Netz.

Podcast-Tipp 
In Staffel 2 des Heise-Podcasts “Bits & Böses” geht’s um Hass im Netz und um die Rolle von Plattformen, Gesetzen und Initiativen wie unserer. Unsere Studie “Lauter Hass - leiser Rückzug” wird ausführlich besprochen. Auch dabei: Beispiele für gelungene Wahlkampfberichterstattung und unserer Kritik an einer unsensiblen Bildberichterstattung, die stereotype reproduziert. Mehr dazu

Im Fokus

Wie sich die Migrationsberichterstattung in den letzten 10 Jahren entwickelt hat

Der Anlass: 
Zehn Jahre nach dem sogenannten „Sommer der Migration“ und “Wir schaffen das” bestimmen nicht mehr Willkommenskultur oder Menschenrechte die Schlagzeilen, sondern Begriffe wie „Migrationswende“, „Grenzschließung“ oder „Remigration“. Was 2024 noch Massenproteste ausgelöst hat, ist im Sommer 2025 politisch und medial normalisiert. Rechtsextreme Narrative haben sich festgesetzt und viele Redaktionen übernehmen sie, ohne sie zu hinterfragen.

Wir warnen:
Wenn Medien Bilder und Begriffe unreflektiert übernehmen, tragen sie zur Entmenschlichung bei. Migration wird nicht mehr als gesellschaftlicher Prozess verstanden, sondern als Problem. Geflüchtete werden verdächtigt, statt befragt. Sichtbar ist das nicht nur in Formulierungen, sondern auch im Weglassen von Perspektiven, Kontext und Rechten.  

Unsere Empfehlungen für Redaktionen:

  • Geflüchtete zu Wort kommen lassen Nicht über Menschen reden, sondern mit ihnen. Biografien, Fluchtursachen und Erfahrungen sichtbar machen – jenseits der Opfer- oder Täterrolle.

  • Kontinuierlich berichten Migration ist kein Ausnahmezustand. Nur eine regelmäßige, differenzierte Berichterstattung kann ein realistisches Bild der Einwanderungsgesellschaft zeigen.

  • Sprache bewusst einsetzen Begriffe wie „Asyltourismus“ oder „Migrationskrise“ sind nicht neutral. Sie setzen politische Frames, statt Debatten zu versachlichen. (siehe unser Glossar)

  • Stereotype Bildwelten vermeiden Bilder formen Meinungen. Wer immer dieselben Lagerfotos zeigt, produziert keine Aufklärung, sondern Distanz. Gute Bildauswahl bedeutet: Vielfalt, Kontext, Respekt.

  • Mehr Recherche, weniger Meinung Was oft fehlt: belastbare Daten, fundierte Analysen, langfristige Perspektiven. Was zu oft überwiegt: Zuspitzung und Meinung ohne Substanz.

Mehr dazu

Auf dem Radar

Analyse zur Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf 
Das Politikberatungsnetzwerk polisphere hat untersucht, wie gezielt die digitale Kampagne gegen die Juristin orchestriert wurde. Über 40.000 Beiträge auf X (ehemals Twitter) zielten mit teils falschen Behauptungen auf ihre Diskreditierung. Die Wahl zur Verfassungsrichterin wurde daraufhin abgesagt. Zur Analyse

Neue Leitlinien zur Berichterstattung über den Genozid von Srebrenica
 Die Journalistin Melina Borčak hat im Auftrag des Srebrenica Gedenkzentrums offizielle Richtlinien für eine sachlich korrekte und respektvolle Berichterstattung verfasst. Hintergrund: Seit fast 30 Jahren wird der Genozid medial oft verkürzt und verzerrt dargestellt. Zur Publikation

Buchtipp: „Medien zwischen Macht und Ohnmacht“ 
Wie kann Journalismus Vertrauen zurückgewinnen, vor allem in Zeiten von Polarisierung und Desinformation? Das analysieren u. a. Nadia Zaboura, Rainer Nübel und Daniel Rölle im Sammelband „Medien zwischen Macht und Ohnmacht“. Zum Buch

X/Twitter droht mit Abschaltung – wegen Klage von Volksverpetzer 
Volksverpetzer will vor Gericht durchsetzen, dass Twitter strafrechtlich relevante Inhalte löscht. Die Anwälte der Plattform behaupten nun, eine Verurteilung wäre „existenzgefährdend“. Die NGO sieht darin den Beweis, wie wenig Musk-Twitter von Rechtsstaatlichkeit hält und will mit Unterstützung der Community ein Grundsatzurteil erwirken. Zur Analyse

Studie: Online-Schlagzeilen werden immer negativer 
Das Max-Planck-Institut hat 40 Mio. Schlagzeilen aus 20 Jahren analysiert. Ergebnis: Headlines sind länger, negativer und oft irreführend. Der Druck, Klicks zu generieren, verdrängt Informationsgehalt. Die Forscher*innen fordern neue Erfolgsmetriken, z. B. „tief gelesen“ statt nur „meistgeklickt“. Zur Studie

Mindestens 86 Tote nicht anerkannt 
Laut einer ZEIT-Langzeit Recherche wurden seit 1990 mindestens 203 Menschen durch rechte Gewalt in Deutschland getötet. Offiziell anerkannt sind nur 117. Während rechtsextreme Gewalttaten 2024 stark zunehmen, fehlt dem Staat weiterhin ein realistisches Lagebild. Zur Recherche

Konferenz-Tipp: „The Future is Public“ (Wien) 
Die Österreichische UNESCO-Kommission lädt ein zur ersten Konferenz zur Stärkung demokratischer Medienräume – am 21. November 2025 in Wien. Gesucht: Session-Vorschläge zu Themen wie Medienvielfalt, Plattformregulierung oder Teilhabe marginalisierter Gruppen. Einreichfrist: 12. September 2025 Mehr dazu

Studie zu KI im Journalismus 
Wie verändert künstliche Intelligenz die journalistische Arbeit und wo entstehen neue Herausforderungen? Das untersucht ein Forschungsprojekt der TU Ilmenau. Ziel ist, Praxiswissen zu bündeln und Orientierung zu geben. Journalist*innen und Medienhäuser sind eingeladen, sich an der länderübergreifenden Umfrage zu beteiligen. Dauer: 7 Minuten, anonym. Jetzt teilnehmen

3 Fragen an... Sanaz Saleh-Ebrahimi

Sanaz Saleh-Ebrahimi ist Wissenschaftsjournalistin, Moderatorin und Content Creatorin. Sie informiert ihr Publikum über gesunde Ernährung und veröffentlicht Recherchen zur Lebensmittelindustrie. Ende 2024 wurde gegen sie eine SLAPP-Klage durch den Gründer eines bekannten Nahrungsergänzungsmittelunternehmens eingereicht, begleitet von einer öffentlichen Kampagne, in der ihre Kompetenz angezweifelt und ihre Reputation angegriffen wurde. Ein Fall, der für viel Aufmerksamkeit sorgte. Sanaz entschied sich, sich juristisch zu wehren – mit Erfolg. In diesem Interview mit "journalist”erzählt sie mehr. (Foto: Gundula Krause)

Was würdest Du Journalist*innen raten, die vor einer ähnlichen Einschüchterungsklage stehen?

Als der Gründer von More Nutrition, Christian Wolf, mir eine Abmahnung geschickt hat, habe ich direkt gedacht: Alles klar, der will mich einschüchtern. Er wusste, dass weitere juristische Auseinandersetzungen für mich ein großes finanzielles Risiko sind. Er selbst ist mutmaßlich Multimillionär. Ihm sind die Kosten vor Gericht offenbar nicht so wichtig. Ich wusste, ich bin im Recht. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass ich auch Recht bekomme. Trotzdem bin ich das Risiko eingegangen, denn es war mir wichtig, mich zu verteidigen. Wir müssen als Journalist*innen frei berichten können. Wenn wir Einschüchterungsklagen befürchten müssen, ist das meiner Meinung nach gefährlich. Deshalb war es mir wichtig zu zeigen, dass ich für meine Rechte einstehe. Ich würde anderen Journalist*innen immer dazu raten, sich zu wehren. Aber: Trotz der vielen juristischen Erfolge, haben mich die verschiedenen Verfahren mehrere tausend Euro gekostet. Deshalb habe ich mir Hilfe gesucht. Bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, beim Deutschen Journalisten-Verband, bei Reporter ohne Grenzen und bei NoSLAPP.de.

Welchen Umgang wünscht Du Dir von Redaktionen zu diesem Thema –

insbesondere auch bei freien Journalist*innen?

Ich hatte meine Recherche ursprünglich in der ZEIT veröffentlicht. Diese hat sich bei meinen juristischen Auseinandersetzungen jedoch nicht für mich eingesetzt. Das war sehr hart. Ich finde es extrem wichtig, dass Verlage für ihre Autor*innen einstehen. Für die Festangestellten, aber auch für die Freien. Ich habe für meinen Text bei der ZEIT gerade mal 600 Euro bekommen. Da wäre es das Mindeste gewesen, dass sie mir wenigstens bei den juristischen Auseinandersetzungen helfen, die auch aufgrund meines Textes für die ZEIT entstanden sind.

Du bist Wissenschaftsjournalistin und hast auf deinem Profil „gut health for conscious people” stehen. Warum ist es dir so wichtig, dass wir mehr überunseren Darm Bescheid wissen?

Heutzutage werden uns ständig Produkte für einen angeblich gesunden Lifestyle verkauft – viele davon sind reine Geldmacherei. Wenn etwas als „gesund“ beworben werden muss, sollte man skeptisch werden. Auf einem Apfel steht das schließlich auch nicht drauf. Gerade in sozialen Medien ist das ein Problem: Influencer*innen erzählen, wie wichtig bestimmte Nahrungsergänzungsmittel sind – und verkaufen sie im selben Atemzug. Es fehlt an Aufklärung, und viele Redaktionen nehmen diese Blase noch nicht ernst genug. Deshalb habe ich meine Kanäle gestartet – um gute Infos auf Augenhöhe zu teilen. Statt Proteinshakes braucht es oft nur gutes Essen. Studien zeigen: Wer wöchentlich 30 verschiedene pflanzliche Lebensmittel isst – also auch Kräuter, Nüsse oder Gewürze – unterstützt seine Darmgesundheit. Dazu noch etwas Fermentiertes und Bewegung, und die Darmbakterien feiern mit.

In meinem Newsletter teile ich genau dazu Rezepte, Tipps und eine neue Rubrik: 30 gesunde Lebensmittel für den Darm – jede Woche neu. Letzte Woche kam ich auf 48! Und das ganz ohne Superfood-Hype, sondern mit einfachen Zutaten, die richtig gut schmecken.

Mehr davon, danke

Das Thema: Merkel trifft Geflüchtete bei WDRforyou. 10 Jahre nach „Wir schaffen das“

2015 war der Satz da. Jetzt ist das Gespräch da. Angela Merkel spricht zum ersten Mal öffentlich mit Menschen, deren Leben durch ihre Entscheidung geprägt wurde. Kein Protokoll, kein Kanzlerinnen-Stuhl. Dafür: persönliche Geschichten, Kritik, Dankbarkeit, offene Fragen im syrischen Restaurant „Malakeh“ in Berlin. 

Warum das wichtig ist?

Weil über Geflüchtete viel geredet wird, aber viel zu selten mit ihnen. Weil das Narrativ von 2015 oft verzerrt wird: reduziert auf Zahlen, Angst, politische Karrieren. Dieses Gespräch rückt Menschen in den Mittelpunkt, die damals gekommen sind und geblieben sind. Merkel hört zu, erklärt, widerspricht der aktuellen Rückweisungspolitik der Bundesregierung. Sie sagt: „Wenn jemand an der Grenze Asyl sagt, braucht es ein Verfahren.“ Es ist ein seltener Moment ehrlicher Rückschau. Und ein Stück Mediengeschichte, das zeigt: Erinnerungspolitik kann auch anders gehen.

Zum Gespräch in voller Länge