Ein Medienangebot von der Gesellschaft für die Gesellschaft. Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn erfinden. Er muss sich jedoch erneuern, um dem kritischen Publikum und seinen veränderten Seh- und Hörgewohnheiten gerecht zu werden. Dazu gehört auch, die vielfältige Migrationsgesellschaft widerzuspiegeln und ihr Angebote zu machen, sonst gehen Vertrauen und wichtige Zielgruppen verloren. Rund ein Viertel der Rundfunkbeitragszahler*innen haben schließlich Einwanderungsgeschichte, in der jungen Generation sind es noch mehr.
Damit der ÖRR der Zukunft alle miteinschließt, fordern wir: gerechte Repräsentation durch Diversity-Monitoring, Quoten und Vielfalt in den Chefetagen, diskriminierungskritische und mehrsprachige Berichterstattung, inklusive Redaktionskulturen, besseren Schutz von Mitarbeitenden vor Gewalt und Diskriminierung sowie wirksame Kontrollmechanismen in Form von gut ausgestatteten und divers besetzten Rundfunkräten.
Quote für gerechte Repräsentation: Die Hälfte Frauen, fast ein Viertel mit Einwanderungsgeschichte, jede*r Zehnte mit Behinderung. So setzt sich die deutsche Gesellschaft zusammen – und mit ihr das Publikum des ÖRR. Die Welt der Redaktionen ist leider eine andere: Insbesondere in den Chefetagen dominieren nach wie vor weiße Männer ohne Einwanderungsgeschichte oder Behinderung. Das hat Folgen für das Programm und für die Identifikation des Publikums und damit für die Legitimation des ÖRR an sich. Damit sich in Sachen Repräsentation endlich etwas ändert, braucht es eine Quote in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung: 50/25/10 für mehr Vielfalt.
Nicht alle Lebensrealitäten lassen sich durch Quoten erfassen: Genauso wichtig sind Perspektiven von Queers, Menschen mit Klassismuserfahrung und/oder ohne akademischen Hintergrund u.v.m.
Vielfalt in den Chefetagen: Nach wie vor gestalten homogen besetzte Chefredaktionen die Programme für unsere vielfältige Gesellschaft: Nur 6 Prozent der Chefredakteur*innen deutscher Medien hatten 2020 sog. Migrationshintergrund. Der ÖRR der Zukunft braucht fairere Repräsentation. Dabei darf man sich nicht auf Nachwuchsförderung ausruhen, denn auf dem Weg zur Führungsetage verflüchtigt sich die Diversität. Eine effektive Maßnahme wäre, Beförderungen daran zu knüpfen, ob Diversity-Ziele erreicht werden.
Zeitgemäße Berichterstattung: Von „Cosmo“ bis „WDRforyou“: Der ÖRR weiß schon lange, wie Berichterstattung im Einwanderungsland funktioniert. Diese muss er stärker ausweiten: mit neuen Gesichtern, Themen, Perspektiven und mehrsprachigen Formaten für neue Zielgruppen. Und mit Maßnahmen für mehr Vielfalt und gegen Diskriminierung in seinem gesamten Programm. Dazu gehören verbindliche Seminare im Volontariat, Fort- und Weiterbildung für Redakteur*innen, regelmäßige Blatt- und Sendungskritiken durch Interessenvertretungen marginalisierter Gruppen und der Aufbau diskriminierungssensibler Bilddatenbanken und Glossare.
Inklusive Redaktionskultur: Vielfalt ist Chef*innensache. Redaktionsleitungen und Intendant*innen müssen für ein Umfeld sorgen, in dem Menschen mit unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen arbeiten können. Das erfordert einen Führungsstil, der die diversitätsorientierte Redaktionskultur ausdrücklich will und fördert. Bei der Umsetzung können hauptamtliche Stellen unterstützen, die die zahlreichen Maßnahmen für Vielfalt und gegen Diskriminierung nachhaltig vorantreiben. Solche Integrationsbeauftragte oder „Diversity-Officer“ übernehmen die Federführung für alle Projekte rund um das Thema, kontrollieren die Einhaltung vereinbarter Ziele und dienen Betroffenen und Öffentlichkeit als Ansprechperson. Bei den meisten angelsächsischen Medienunternehmen sind solche Stellen längst selbstverständlich. Beim deutschen ÖRR müssen diese Stellen noch (weiter) aufgebaut und ausgestattet werden.
Besserer Schutz der eigenen Mitarbeitenden: Hass und Hetze gegen Medienschaffende nehmen zu. Gegen Journalist*innen of Color ganz besonders. Unterstützung der Arbeitgeber*innen? Häufig Fehlanzeige. Im Gegenteil: Die Fälle Nemi El-Hassan und Matondo Castlo haben gezeigt, dass Verantwortliche beim ÖRR lieber Ruf und Karriere der eigenen Mitarbeitenden opfern, als sich rassistisch motivierten Anfeindungen in den Weg zu stellen. Das muss sich ändern.
Ein wichtiger Schritt wäre, den „Schutzkodex“ zu unterschreiben. Dieser bündelt Maßnahmen zum Schutz der eigenen (freien) Mitarbeitenden: Von der Einrichtung einer Ansprechperson im Haus bis zur psychologischen und juristischen Unterstützung im Ernstfall.
Diversity-Monitoring: Wie will man ein Problem lösen, ohne es zu kennen? Regelmäßige, freiwillige und anonymisierte Befragungen nach wissenschaftlichen Standards sind bei der BBC und vielen anderen öffentlich-rechtlichen Medien weltweit Standard und bilden die Grundlage für jede Art von Diversity-Maßnahmen. Auch der ÖRR braucht eine ehrliche Bestandsaufnahme zu Vielfalt und Diskriminierung in seinem Programm und seiner Belegschaft. Ohne sie ist Förderung von Inklusion und Gleichberechtigung genauso wenig möglich wie die Evaluation bisheriger Maßnahmen.
Wirksame Kontrolle: Die Debatte um RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat gezeigt: Mangelhafte Kontrolle des ÖRR schadet letztlich auch dem ÖRR selbst. Wir fordern deshalb die ÖRR-Intendant*innen auf, sich gegenüber den Gesetzgeber*innen für eine bessere Ausstattung der Rundfunkräte einzusetzen. Dazu gehört auch, dass die Gremien ihrem Anspruch gerecht werden, die gesamte Gesellschaft widerzuspiegeln. Denn zu dieser Gesellschaft gehören auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte, LSBTIQ*, Menschen mit Behinderung, Muslim*innen, Rom*nja und Sinti*zze, Geflüchtete und Schwarze Menschen.
Mehr Wissen und Tools zum Thema Mediendiversität gibt es hier: www.mediendiversitaet.de.
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