Die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) veröffentlichen die erste Untersuchung über den Mangel an Vielfalt in Rundfunkräten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Genau 75 Jahre, nachdem der „Vater des Rundfunks” Hans Bredow ihre Gründung anregte.
In zwölf Rundfunkräten beaufsichtigen Vertreter*innen der Gesellschaft die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland und sichern deren Unabhängigkeit. Die NdM-Studie geht der Frage nach, ob Rundfunkräte dem Anspruch gerecht werden, der seit Bredow in zahlreichen Gesetzestexten und Gutachten festgehalten worden ist: Als Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Medien alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland mit einzubeziehen.
Mehr Bäuer*innen in Rundfunkräten als eingewanderte Menschen
Insgesamt 542 Rundfunkratsmitglieder werden von verschiedenen Organisationen, Verbänden und von der Politik in die Rundfunkräte entsandt. Doch wer die Rundfunkrät*innen delegieren darf, wird fernab der Öffentlichkeit entschieden. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Rundfunkräte einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Die neue Studie belegt: Dieses Ziel wird nicht erfüllt – große Gruppen der Gesellschaft werden ausgeschlossen.
So sind beispielsweise Bauern und Bäuerinnen (weniger als 1 Prozent der Bevölkerung) genauso zahlreich in Rundfunkräten vertreten wie Eingewanderte und ihre Nachkommen (mehr als 27 Prozent der Bevölkerung) und Jäger*innen haben zahlenmäßig mehr Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Repräsentant*innen der anerkannten nationalen Minderheit der Rom*nja und Sinti*zze.
Weitere Ergebnisse
- Queere Menschen sind erst seit 2015 in Rundfunkräten vertreten, sie fehlen bis heute in der Hälfte aller Rundfunkräte
- Menschen mit Behinderung haben nur in sieben der zwölf Rundfunkräte einen festen Sitz – allein in Sachen Barrierefreiheit im TV sollten sie aber überall mitbestimmen können
- Paritätsregeln sorgen für durchschnittlich 44 Prozent Frauen* in Rundfunkräten, unter den ersten Vorsitzenden ist aber nur noch ein Drittel weiblich
- Alle Rundfunkräte sind stark überaltert: Auf jede Person unter vierzig Jahren kommen zwei, die älter sind als siebzig
- Staatsnahe Mitglieder (z. B. Regierungsmitglieder, politische Beamt*innen, Landrät*innen) bilden die mit Abstand größte Gruppe in den Rundfunkräten – trotz des gesetzlichen Gebots der Staatsferne
Wie mehr Diversität in Rundfunkräten erreicht werden kann
Die Debatte darüber, wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrolliert – und wer nicht – gehört in die Öffentlichkeit und nicht hinter die verschlossenen Türen von Staatskanzleien.
Denn gerechte Repräsentation scheitert in der Regel nicht am Platz im Gremium oder einem Mangel an Möglichkeiten, sondern am fehlenden politischen Willen.
Die Studie liefert Empfehlungen und zeigt, dass in einigen Rundfunkräten bereits Strategien existieren, mit denen sich unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen einbinden lassen. Rundfunkrät*innen selbst liefern in zahlreichen Interviews weitere Ideen und Einblicke in die Praxis, sprechen über mangelnde Sensibilität oder politische Abhängigkeiten.
Der Vorstand
Neue deutsche Medienmacher*innen e. V.
Die gesamte Studie „Welche Gesellschaft soll das abbilden? Mangelnde Vielfalt in Rundfunkräten und was dagegen hilft.“ gibt es im Download als barrierefreies auslesbares PDF oder barrierefrei auslesbar online: https://mediendiversitaet.de/vielfalt-in-rundfunkraeten.
Eine Zusammenfassung gibt's hier: https://neuemedienmacher.de/zahlen-fakten/rundfunkraete/
Pressekontakt: info@neuemedienmacher.de, Fabian Goldmann, Konstantina Vassiliou-Enz
Die Untersuchung wurde durchgeführt von den Neuen deutschen Medienmacher*innen. An der Veröffentlichung beteiligte Organisationen sind: Leidmedien (Sozialhelden e. V.), Lesben- und Schwulenverband (LSVD), MaLisa Stiftung, ProQuote Medien e. V. und Queer Media Society.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen werden freundlich unterstützt von der Google News Initiative.
HINTERGRUND
75 Jahre öffentlich-rechtliche Rundfunkräte
Der als „Vater des Rundfunks” bekannte Hans Bredow (1879-1959) hat nicht nur den Begriff „Rundfunk” erfunden, sondern auch die dazugehörigen Anstalten in Deutschland entscheidend geprägt. Dem Hessischen Rundfunk schlug Bredow 1946 die Errichtung eines Aufsichts-gremiums vor, das sich aus „Vertretern von Spitzenverbänden und Fachleuten” zusammensetzt. Von „Politikern” schrieb er nichts. Wahrscheinlich tauchte hier zum ersten Mal das Wort „Rundfunkrat” auf. 1947 konkretisierte Bredow seine Idee. In seiner Schrift zur „Neuregelung des Rundfunks” ging er der Frage nach, „in welcher Form die Hörerschaft in die Rundfunkarbeit eingeschaltet werden könnte” und schlug vor, einen „möglichst großen Kreis der Rundfunkteilnehmer durch Spitzenorganisationen” zu erfassen. Mit Erfolg. Wo immer seitdem in Deutschland neue Rundfunkanstalten entstanden, stand ihnen einer von Bredows Rundfunkräten zur Seite.
Was sind die Aufgaben öffentlich-rechtlicher Rundfunkräte?
Rundfunkräte sind die Aufsichts- und Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie überwachen zum Beispiel die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrages, genehmigen den Haushalt, legen Richtlinien zur Programmgestaltung fest, bearbeiten Programmbeschwerden und wählen die*den Intendant*in. Über Zusammensetzung und Aufgaben der Gremien entscheiden Gesetzgeber*innen: entweder in Landesgesetzen (BR, HR, Radio Bremen, RBB, SR, WDR), Staatsverträgen zwischen mehreren Ländern (Deutschlandradio, MDR, NDR, SWR, ZDF) oder einem Bundesgesetz (DW). Die Rundfunkratsmitglieder sollen einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Um die Staatsferne zu gewährleisten, dürfen Vertreter*innen von Regierungen, Ländern und Kommunen höchstens ein Drittel der Mitglieder stellen.
Was wurde in der Studie genau untersucht?
Es wurden Daten zu den zwölf Rundfunkräten sowie 542 Rundfunkrät*innen mit Blick auf deren Entsendeorganisationen erhoben und ausgewertet. Dazu gehören die neun Rundfunkräte der ARD-Rundfunkanstalten (BR, HR, MDR, NDR, Radio Bremen, RBB, SR, SWR, WDR), der Hörfunkrat des Deutschlandradios, der ZDF-Fernsehrat sowie der Rundfunkrat der Deutschen Welle. Ebenfalls enthält die Untersuchung zahlreiche Interviews mit Expert*innen und amtierenden Rundfunkrät*innen sowie Praxisbeispiele und Empfehlungen für mehr Diversität in den Aufsichtsgremien der Öffentlich-Rechtlichen.
Die Studie ist der erste Überblick über Besetzungspraxis, den Stand der Debatten und Gesetze sowie über alle amtierenden Mitglieder von Rundfunkräten in Deutschland mit einem Fokus auf die mangelnde Repräsentation gesellschaftlich benachteiligter Gruppen.