Medienpreis für unterirdische Berichterstattung

Laudatio von Sheila Mysorekar

Der BILD-Chefredakteur Julian Reichelt erhält "Die Goldene Kartoffel".

Lieber Herr Reichelt,

liebe Neue und weniger neue deutsche Medienmacher und Medienmacherinnen, liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen von der BILD und anderen Medien, die heute Abend nicht zum Spaß da sind, sondern weil sie berichten müssen – aber vielleicht habt Ihr ja trotzdem Spaß...

Ich freue mich, Sie und Euch alle im Namen der Neuen deutschen Medienmacher zu begrüßen. Wir feiern heute Abend ein Jubiläum – unser Verein besteht nun bereits zehn Jahre. Und mindestens die Hälfte dieser Zeit haben wir davon geträumt, einen eigenen Medienpreis zu vergeben.

Vielleicht liegt es daran, dass wir krawallig und schadenfroh sind? Jedenfalls stand nie zur Debatte, einen Preis für den besten Journalisten oder das beste Medienprodukt über Migration und Integration auszuloben. Außerdem gibt es das schon zur Genüge.

Wir wollten von Anfang an einen Preis für missratene Berichterstattung vergeben. Preisträger sollten Medienhäuser sein, und nur in ganz besonderen Ausnahmen einzelne Journalisten – etwa, wenn sie als Chefredakteure die Linie eines Senders oder einer Zeitung besonders geprägt haben.

Ein Medienpreis für Berichterstattung, die ein besonders verzerrtes Bild unseres Zusammenlebens in der Einwanderungsgesellschaft zeichnet, indem sie Probleme und Konflikte grob übertreibt, Vorurteile verfestigt und gegen journalistische Standards verstößt.

Berichterstattung, die jede rote Linie für Vorurteile überschreitet, wo Stereotypen die Regel sind und Diskriminierung zur Leserbindung dient; wo die Rassismus-Warnsirene im Dauerton heult und der Geigerzähler der Islamophobie weit nach rechts ausschlägt.

Mit anderen Worten: Berichterstattung, in der jeder Ausländer in der einen Hand ein Messer hat und in der anderen Hand einen Asylantrag. Und mit der dritten Hand geht er einer Blondine an die Wäsche.

Jedes Mal, wenn wir fluchend vor dem Fernseher saßen, wenn wir die Zeitung zusammengeknüllt in die Ecke feuerten, dann haben wir uns genau solch einen Medienpreis für die schlechteste Berichterstattung gewünscht.

Heute Abend, jetzt, in diesem Moment ist es endlich soweit: Wir, die Neuen deutschen Medienmacher, werden diesen Preis vergeben: Er trägt den Namen „Die Goldene Kartoffel“.

 

Ein paar Worte zu der Namensgebung der „Goldenen Kartoffel“:

Dieses Nachtschattengewächs – das bekanntlich unter der Erde heranwächst –, erschien uns als idealer Namensgeber, weil damit eine besonders unterirdische Berichterstattung ausgezeichnet wird.

Außerdem ist „Kartoffel“ eine durchaus liebevolle Bezeichnung für Mitbürger ohne Migrationshintergrund, die besonders gern genutzt wird, wenn sie sich durch mangelnde interkulturelle Kompetenz und einen stark ethnozentrisch geprägten Blickwinkel hervortun.

Die Kartoffel verkörpert aber auch die Vielschichtigkeit kultureller und nationaler Identitäten. Denn unter ihrer rauen Schale verbirgt sich eine illustre Einwanderungsgeschichte. So steht die Kartoffel zwar heute im Ausland stellvertretend für die deutsche Küche –ich sage nur ‚Kartoffelklöße’! –, andererseits hat sie selbst eine Migrationsgeschichte: ursprünglich stammt die Knolle aus Südamerika und wurde erst von den Spaniern nach Europa und später von Friedrich dem Großen in Preußen eingeführt. Und dann war sie auf einmal – deutsch.

Man kann die Kartoffel daher auch als Metapher dafür verstehen, dass in Deutschland alle Menschen im Grunde Einwanderer sind, ob sie nun Müller oder Meier, de Maizière, Sarrazin, Buschkowski oder Özil heißen. Das zeigt sich, wenn man nur etwas an ihrer Oberfläche, also an der Kartoffelschale, kratzt. Die Frage ist nur, in welcher Generation die jeweilige Kartoffel in deutschen Boden gepflanzt wurde.

Die „Goldene Kartoffel“ wird in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen. Und typisch deutsch, wie wir sind, haben wir erst eine strenge Regel aufgestellt, um sie dann gleich wieder zu brechen. Denn eigentlich wir wollten keine Einzelpersonen auszeichnen. Aber trotzdem:

Der Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen hat aus der Berichterstattung des zurückliegenden Jahres denjenigen als Preisträger ausgewählt, der den oben genannten Kriterien unserer Meinung nach am meisten entspricht. Deswegen hat sich die Jury für den Chefredakteur der BILD-Zeitung entschieden.

 

Erster Preisträger der „Goldenen Kartoffel“ ist Julian Reichelt!

Niemand soll denken, sein eigenes Revolverblatt sei zu Unrecht übergangen worden oder die eigenen journalistischen Verdienste bei der Diskriminierung von Einwanderern würden nicht ausreichend honoriert. Deswegen hier eine kurze Begründung, warum die Jury gerade Julian Reichelt für einen wirklich würdigen Preisträger hält:

Die BILD-Zeitung ist aus unserer Sicht sehr fortschrittlich, wenn es darum geht, die Vielfalt in der Gesellschaft unverkrampft und selbstverständlich darzustellen, etwa in Straßenumfragen, wo nicht nur nicht nur Annegret und Karl-Heinz, sondern auch Fatma und Dragan zu Wort kommen. In dieser Hinsicht ist die Zeitung fortschrittlicher als andere Medien. Doch mit Julian Reichelt am Steuer hat BILD in kürzester Zeit eine Rolle rückwärts gemacht.

Mit ihm als Chefredakteur steht die BILD-Zeitung nun wieder konsequent für Unsachlichkeit, Vorurteile und Panikmache, wenn es um die Themen Integration, Migration und Asyl geht. BILD verwendet doppelte Standards in der Berichterstattung über Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und hat einen sehr ethnozentrischen Blick auf unsere Einwanderungsgesellschaft.

Doppelter Standard und Panikmache zeigen sich zum Beispiel in der Art und Weise, wie unterschiedlich groß BILD über Kriminalität oder Terror berichtet, je nachdem, ob der mutmaßliche Täter einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Ohne BILD würden wir glatt vergessen, dass ausländische Messerstecher sehr viel schlimmer sind als bewaffnete deutsche Neonazis.

Doppelte Standards zeigen sich aber auch andernorts. Beispielhaft dafür stand in diesem Jahr der Umgang des Blatts mit dem Fußballspieler Mesut Özil nach seinem – durchaus kritikwürdigen – Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan. Als Lothar Matthäus zur WM dieses Jahres einen warmen Händedruck mit Präsident Putin austauschte und sagte, „ich bin ein halber Russe“, hat Julian Reichelt zwar persönlich einen kritischen Kommentar dazu geschrieben – aber Lothar wurde nicht zur Zielscheibe einer wochenlangen Kampagne. Mesut hingegen schon. Eine Kampagne, die von rassistischen Untertönen nur so strotzte. Alles angestoßen von der BILD-Schlagzeile vom 19.Juni: „Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot“. Und dank BILD ist Özil dann auch ganz schnell von der Nationalmannschaft zurückgetreten.

Fehlende Sachlichkeit und Vorurteile zeigen sich daran, wenn immer wieder der Eindruck erweckt wird, die mickrigen 5 % Muslime in Deutschland seien im Begriff, den Staat und seine Institutionen zu übernehmen. So etwa in der BILD-Schlagzeile vom 26. August 2018: „Nur noch Islamkunde statt evangelischer Religion“.

Das klingt so, als sei bereits ein Islamist der neue Innenminister. Naja – man kann Seehofer zwar vieles vorwerfen, aber ein Islamist ist er nicht...

Mit dem Preis erkennen wir auch an, dass Julian Reichelt seine Tätigkeit als BILD-Chefredakteur unter sehr schwierigen Bedingungen ausübt. Er und seine Leser sind umgeben von Feinden. Das Leben in Deutschland ist gefährlich, was BILD gerne mit uns teilt:

 

Feindbild Nr. 1: der angeblich schwache Staat

Der deutsche Staat schafft nicht, kriminelle Ausländer abzuschieben. Sie sind alle noch hier, Tausende von ihnen, und fuchteln mit Messern herum. Erst am 7. Oktober, also vor wenigen Wochen, präsentierte BILD: „Warum die Politik versagt: Der große Abschiebe-Report.“

Kleines Detail am Rande: Mangelndes Durchgreifen gegenüber Rechtsextremisten ist für BILD kein Indiz für einen schwachen Staat.

 

Feindbild Nr. 2: Flüchtlinge und das BAMF

Ohne die konsequent wiederholten Warnungen von BILD wäre uns gar nicht klar, wie gefährlich geflüchtete Menschen sind, und wie verantwortungslos das BAMF ist, das diese wilde Horde nach Deutschland lässt. Aber Gottseidank werden wir darüber informiert, wie in der BILD-Schlagzeile vom 21.Juni 2018: „Ich habe 40 Menschen umgebracht und will Asyl“.

 

Feindbild Nr. 3: Mesut Özil

Dass einer der besten deutschen Fußballspieler eigentlich in die Feind-Kategorie gehört, hat BILD schon vor Jahren vorausgesehen: Ein Fußballspieler ist nämlich nur gut genug für die deutsche Nationalmannschaft, wenn er die Nationalhymne mitsingt. Tore schießen ist nicht so wichtig. Das wusste BILD schon immer.

 

Und das beliebteste Feindbild ever: der Islam

Man kann nicht oft genug davor warnen, wo Islamisten sich überall einschleichen. Aber dank BILD wissen wir Bescheid, zum Beispiel durch die Schlagzeile vom 3. März dieses Jahres: „Scharia-Gericht im Kinderzimmer“.

Ich fasse zusammen: Konsequent eingehaltene Unsachlichkeit und stringente Vorurteile; sorgfältiger Aufbau und vorbildliche Entwicklung von Feindbildern sowie glaubwürdige Panikmache zeichnen die BILD-Zeitung nun wieder aus, und damit Reichelts Linie als ihr Chefredakteur.

All diese Aspekte haben den Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen überzeugt: An Julian Reichelt führt als Preisträger für die „Goldene Kartoffel" kein Weg vorbei. Seine Arbeit entspricht in jeder Hinsicht den Kriterien für diesen Preis.

 

Lieber Herr Reichelt: Sie haben sich die „Goldene Kartoffel“ redlich verdient.

Alle Medienhäuser und Medienmacher, die dieses Jahr leer ausgehen mussten, möchte ich aufs nächste Jahr vertrösten, auf die „Goldene Kartoffel 2019“.

Vielen Dank, dass Ihr alle gekommen seid - zur Verleihung des best media prize ever!

Lieber Herr Reichelt: Möchten Sie einige – naja, ‚Dankesworte’ ist nicht der richtige Ausdruck – also einige Worte dazu sagen?

 

Herzlichen Dank!