Stellungnahme vom 20. Mai 2025

Gesellschaft im Wandel, Rundfunk im Stillstand

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sprachlich endlich vielfältiger werden

Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte erhalten kaum Zugang zu Nachrichten oder Bildungsinhalten in ihren Familiensprachen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ignoriert die sprachliche Realität unseres Landes. Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte zahlen den Rundfunkbeitrag, erhalten aber kaum Zugang zu Nachrichten oder Bildungsinhalten in ihren Familiensprachen. Dabei ist der Auftrag des ÖRR klar: Er soll die Gesamtheit der Bevölkerung vollumfänglich informieren – nicht nur einen Teil davon.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen fordern eine Neuausrichtung: Mehr mehrsprachige Nachrichten sowie Kinderformate, bessere Auffindbarkeit in der Mediathek und dauerhafte Finanzierung. 

Dazu Geschäftsführerin Elena Kountidou: „In Zeiten von Desinformation braucht es verlässliche Informationen für alle – nicht nur auf Deutsch. Mehrsprachige Inhalte sind keine Kür, sondern essenzieller Bestandteil demokratischer Grundversorgung. Warum gibt es die Tagesschau nicht in mehreren Sprachen?"

Diverse Gesellschaft, weitgehend einsprachiger Rundfunk
23 Prozent der Bevölkerung sprechen zu Hause neben Deutsch eine andere Sprache oder kein Deutsch [1] – doch der ÖRR bleibt nahezu einsprachig. 2025 gibt es nur noch auf dem Hörfunkprogramm COSMO vereinzelte Sendungen in anderen Sprachen als Deutsch, meist spätabends - für einige Communitys die letzte verbliebene öffentlich-rechtliche Informationsquelle auf Türkisch, Russisch, Polnisch oder Arabisch. Mediatheken bieten zwar Untertitel oder fremdsprachige Tonspuren bei vereinzelten Titeln, doch diese sind selten aktuell und schwer auffindbar. Während Streaming-Plattformen längst auf Mehrsprachigkeit setzen, hält der ÖRR an einem fast ausschließlich deutschsprachigen Angebot fest. Damit überlässt er die Informationsversorgung von Einwanderer*innen Algorithmen oder staatlich gelenkten Medien aus dem Ausland. Das Fehlen seriöser, mehrsprachiger Informationsangebote begünstigt somit die Verbreitung von Desinformation und erschwert die gesellschaftliche Teilhabe und Integration von vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Und was ist mit den Kindern?
Im Jahr 2024 sprachen laut Mikrozensus 31 Prozent [2] der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren zu Hause mehr als nur Deutsch, 25 Prozent vorwiegend nicht Deutsch.  Formate wie logo! oder Die Sendung mit der Maus – International bieten wenig oder veraltete Inhalte in anderen Sprachen. Zwar gibt es einige Vorschulangebote in mehreren Sprachen - Türkisch und Arabisch fehlen jedoch. Ein regelmäßiges, hochwertiges Bildungsangebot für mehrsprachige Kinder existiert nicht – was die Bildungsungleichheit verstärkt.

Forderungen:

  1. Mehr Nachrichten, mehr Sprachen
    Türkisch, Russisch, Arabisch, Polnisch, Englisch: Nachrichten in diesen und weiteren Sprachen müssen selbstverständlich sein – täglich, aktuell, unabhängig.
     
  2. Bessere Auffindbarkeit mehrsprachiger Inhalte
    Mediatheken müssen eine klare Suchfunktion nach Sprache bieten. Untertitel und fremdsprachige Tonspuren dürfen keine Ausnahme sein, sondern müssen Standard werden.
     
  3. Mehrsprachige Kinderformate ausbauen
    Kinder brauchen Zugang zu Bildungs- und Nachrichtenformaten in ihren Familiensprachen. Nur so können frühe Medienkompetenz und gleichberechtigter Zugang zu Wissen sichergestellt werden.
     
  4. Dauerhafte Finanzierung
    Erfolgreiche Angebote wie WDRforyou und COSMO zeigen, dass Know-how, Interesse und Bedarf da sind. Statt zeitlich begrenzter Initiativen wie Nachrichten auf Arabisch und Ukrainisch braucht es strukturelle Förderung und redaktionellen Ausbau.


2015 hat gezeigt: Der ÖRR kann mehrsprachig – wenn er will
Die Ausnahme beweist die Regel: Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, konnte der ÖRR plötzlich flexibel reagieren. Die Tagesschau publizierte Nachrichten auf Arabisch, es gab „Refugee Radio“ mit mehrsprachigen Informationen, und SWR startete „News for Refugees“ auf Arabisch, Dari, Englisch und Deutsch. Was ist daraus geworden? Die meisten dieser Programme wurden nach wenigen Jahren eingestellt – obwohl der Bedarf nie verschwunden ist.

Zeit zu handeln
Der ÖRR wird von allen bezahlt – also muss er auch für alle senden. Die anhaltende Ignoranz gegenüber der Migrationsgesellschaft gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern langfristig auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der ÖRR hat die Mittel, die Expertise und den gesetzlichen Auftrag, ein inklusives, vielfältiges Programm bereitzustellen. Er verfügt über umfassend ausgestattete Redaktionen und hohe journalistische Standards. Und doch sparen die Sender genau dort, wo sie besonders relevant sein könnten. Der ÖRR muss seinem gesetzlichen Auftrag gerecht werden: eine Berichterstattung, die die gesamte Gesellschaft erreicht.

Quellen:
[1] Statistisches Bundesamt 2025: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2025/PD25_08_p002.html

[2] Statistischer Bericht - Mikrozensus - Bevölkerung nach Einwanderungsgeschichte - Erstergebnisse 2024: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/_inhalt.html


Pressekontakt:
presse​neuemedienmacher.de  
Tel.: 030 269 472 30

 

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Im Medienstaatsvertrag heißt es § 26 Auftrag Absatz 1

Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Aufgabe, ein Gesamtangebot für alle zu
unterbreiten. Bei der Angebotsgestaltung sollen sie dabei die Möglichkeiten nutzen, die ihnen aus der Beitragsfinanzierung erwachsen, und durch eigene Impulse und Perspektiven zur medialen Angebotsvielfalt beitragen. Allen Bevölkerungsgruppen soll die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht werden. Dabei erfolgt eine angemessene Berücksichtigung aller Altersgruppen, insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der Belange von Menschen mit Behinderungen und der Anliegen von Familien. Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags. Der Auftrag im Sinne der Sätze 8 und 9 soll in seiner gesamten Breite auf der ersten Auswahlebene der eigenen Portale und über alle Tageszeiten hinweg in den Vollprogrammen wahrnehmbar sein.

Historischer Hintergrund
In den 1960er-Jahren wurden erste fremdsprachige Programme des ÖRR eingeführt. Sendungen auf Italienisch, Griechisch und Spanisch wurden später durch Programme auf Albanisch, Serbisch, Kroatisch und Türkisch ergänzt. Diese Programme sollten als Integrationshilfe und Orientierungshilfe für eine mögliche Rückkehr für sogenannte Gastarbeiter*innen dienen. In den 1990er-Jahren entstanden ganztägige Angebote wie Radiomultikulti oder Funkhaus Europa, die Inhalte in mehreren Sprachen anboten. Heute ist von dieser Infrastruktur für Menschen mit Einwanderungsgeschichte kaum noch etwas übrig. Einzige Ausnahme: WDRforyou, das immerhin Inhalte auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi anbietet – und damit jeweils fast eine Million Follower*innen auf Facebook und YouTube erreicht. Der Bedarf ist offensichtlich. Warum also bleibt dieser Bereich ein Nischenprodukt?