NdM Untersuchung

Diversität im deutschen Journalismus

Geschlossene Gesellschaft in der Chefredaktion, fast niemand hat einen Migrationshintergrund

Findet Vielfalt in Redaktionen und Chefetagen statt? Die NdM stellen erstmals Daten und Erkenntnisse für die reichweitenstärksten 122 Medien vor.

NdM Untersuchung 2020: Diversität in der Chefetage
 

Deutschland ist ein Einwanderungsland, mehr als ein Viertel aller Menschen haben einen Migrationshintergrund. Doch findet sich diese Vielfalt in den Redaktionen und Chefetagen von Medienhäusern wieder? Die Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) haben nachgefragt und stellen erstmals Daten und Erkenntnisse für die reichweitenstärksten 122 Medien vor. Daraus geht hervor:

  1. Lediglich 6 Prozent der Chefredakteur:innen haben einen Migrationshintergrund. Gruppen, die besonders von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, sind darunter nicht vertreten (siehe Grafik im Anhang).
  2. Deutsche Medienhäuser wissen nicht, wie vielfältig bzw. homogen ihre Redaktionen sind, und sie wollen es offenbar auch nicht wissen. Der Migrationshintergrund oder ähnliche Diversitätsmerkmale werden (bis auf eine Ausnahme) nicht erfasst.
  3. Die meisten Chefredakteur:innen bewerten Diversität in Redaktionen grundsätzlich als positiv. Doch kaum jemand ist bereit, etwas dafür zu tun. Im internationalen Vergleich hinken deutsche Medien deutlich hinterher.

"Vielen deutschen Medien droht, dass sie den Anschluss an die Realität in Deutschland verlieren. Schon heute hat in vielen Großstädten die Mehrheit der eingeschulten Kinder einen Migrationshintergrund", sagt NdM-Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz. Medienexpertin Prof. Dr. Christine Horz, die die Studie wissenschaftlich begleitet hat, erklärt: „Vor allem öffentlich-rechtliche Sender sollten aufgrund ihres Auftrags die gesellschaftliche Vielfalt abbilden, sich als Vorreiter präsentieren und endlich nachhaltige Diversitätsstrategien konzipieren".

Um neue Perspektiven in die Berichterstattung aufzunehmen und die Redaktionen zu öffnen, empfehlen die Neuen deutschen Medienmacher:innen Medienhäusern folgende Maßnahmen:

  1. Berichten Sie für die ganze Gesellschaft. Die Communities eingewanderter Menschen sind große Zielgruppen, sie sollten als Publikum mitgedacht werden. Diversität im Programm bzw. der Publikation kann die Reichweite und Auflage steigern und bringt Sie als Arbeitgeber:in für Menschen aus Einwander:innenfamilien ins Spiel.
  2. Vielfalt muss Chefsache werden. Entscheider:innen müssen gemeinsam mit der Belegschaft eine Strategie zur Gewinnung von Personal mit Einwanderungsgeschichte erarbeiten. Verändern Sie Ihre Rekrutierungsprozesse, sprechen Sie Bewerber:innen of Color* proaktiv an und schaffen Sie Formate zur Talentförderung. Sensibilisieren Sie Ihre Personalverantwortlichen, für mehr Diversität zu sorgen.
  3. Verschaffen Sie sich als Medienhaus ein Bild über den Anteil migrantischer Journalist:innen in Ihren Reihen, legen Sie diese Diversitäts-Daten transparent offen und formulieren Sie klare Zielvorgaben (softe "Quoten"), die überprüft werden können.

Der ausführliche Bericht mit allen Ergebnissen, Zahlen und Best-Practices ist hier abrufbar.

Die Untersuchung wurde von den Neuen deutschen Medienmacher:innen zunächst ehrenamtlich durchgeführt, wurde wissenschaftlich begleitet von Prof. Dr. Christine Horz, Technische Hochschule Köln und im Verlauf freundlich unterstützt von der Google News Initiative.

Pressekontakte:

NdM: Konstantina Vassiliou-Enz, vassiliou-enz​neuemedienmacher.de

TH Köln, Prof. Dr. Christine Horz, christine.horz​th-koeln.de

Die Neuen deutschen Medienmacher:innen sind ein bundesweiter Zusammenschluss von Journalist:innen mit und ohne Migrationsgeschichte, die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen. Wir sind politisch unabhängig, nationalitäten- und konfessionsübergreifend.

 

ANHANG

Geschlossene Gesellschaft in der Chefredaktion

Von 126 befragten Chefredakteur:innen der größten deutschen Medien haben nur sechs Chefs und zwei Chefinnen einen Migrationshintergrund nach der Definition des Statistischen Bundesamts. Das heißt, sie selbst oder mindestens ein Elternteil wurden mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit geboren.

Vertreten sind die Nationalitäten österreichisch, luxemburgisch, dänisch, niederländisch, irisch, italienisch, rumänisch und griechisch. Die wenigen Chefredakteur:innen mit Migrationshintergrund gehören mehrheitlich zu Einwanderergruppen, die im öffentlichen Diskurs nicht als „fremd" kodiert werden. Es ist keine einzige Person darunter, die eine außer-europäische Herkunft hätte.

Damit weisen die Chefredakteur:innen in deutschen Massenmedien - für eine Gesellschaft, die sich seit mindestens zwei Jahrzehnten auch offiziell als Einwanderungsland versteht - eine erstaunliche Homogenität auf. Umgekehrt: sichtbare Minderheiten bleiben außer vor.

Die NdM haben 126 Chefredakteur:innen per E-Mail angeschrieben, die in 122 Redaktionen der reichweitenstärksten regionalen und überregionalen Medien arbeiten. Die Rücklaufquote war ungewöhnlich hoch: 90 Befragte haben geantwortet (71%). Fast alle Chefredakteur:innen haben angegeben, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Dieser lässt sich zudem aus öffentlich zugänglichen Quellen nachvollziehen.

 

Vollständige Untersuchung zum Download (PDF)

 


*People of Color ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung, die nicht als weiß, also deutsch oder westlich wahrgenommen werden. Damit wird jedoch keine Hautfarbe beschrieben, sondern eine gesellschaftliche Zugehörigkeit.

 

PRESS RELEASE OF 11 MAY 2020

Closed doors in the head editorial offices, hardly anyone has a migrant background

Germany is a country of immigration, more than a quarter of all people have a migrant background. But is this diversity reflected in the editorial offices and executive floors of media companies? That is exactly what the Neue deutsche Medienmacher*innen (NdM) have examined and are presenting data and findings for the 122 media for the first time, for wide distribution. These are the results:

  1. Only 6 percent of editors-in-chief have a migrant background. Groups that are particularly affected by racism and discrimination are not represented among them (see chart in the appendix).
  2. German media houses do not know how diverse or homogeneous their editorial offices are and they seemingly do not want to know. Migrant background or similar diversity characteristics are not recorded (with one exception).
  3. Most editors-in-chief consider diversity in editorial offices as positive in principle. But hardly anyone is willing to do anything about it. In international comparison, German media clearly lag behind.

"Many German media outlets are at risk of losing touch with reality in Germany. In many large cities, the majority of children enrolled in school already have a migrant background," says NdM Managing Director Konstantina Vassiliou-Enz. Media expert Prof. Dr. Christine Horz, who accompanied the study scientifically, explains: "According to their mission, public broadcasters in particular should depict social diversity, present themselves as pioneers and ultimately bring about sustainable diversity strategies".

In order to include new perspectives in reporting and in order to open up editorial offices, the Neue Deutsche Medienmacher*innen recommend the following measures to media outlets:

  1. Do your reporting for the whole of society. Communities of migrant people are large target groups, they should be respected as an audience. Diversity in the programme or publication can increase the reach and circulation and also makes you attractive as an employer to people from migrant families.
  2. Diversity has to be given top priority. In cooperation with the employees, decision makers need to develop a strategy for attracting staff with diverse background. Change your recruitment process, proactively approach applicants of color and create new formats for supporting talented candidates. Bring awareness for the need for more diversity to your HR managers.
  3. As a media company, make sure you get a clear picture of the proportion of migrant journalists in your ranks, disclose this data in a transparent way and formulate clear targets (soft "quotas") that can be verified.

The detailed report (in German) with all results, figures and best practices is available here.

The study was initially conducted by Neue deutsche Medienmacher*innen on a voluntary basis, and was scientifically accompanied by Prof. Dr. Christine Horz, Technical University of Cologne, which in the course of the study was kindly supported by the Google News Initiative.

Press contacts:

NdM: Konstantina Vassiliou-Enz, vassiliou-enz​neuemedienmacher.de

Cologne University of Technology, Prof. Dr. Christine Horz, christine.horz​th-koeln.de

Neue deutsche Medienmacher:innen is a nationwide association of journalists with and without migrant background, that works towards more diversity in the media. We are politically independent, cross-national and interdenominational.

 

APPENDIX

Closed society in the head editorial offices

Of 126 interviewed chief editors of the largest German media outlets, only six chief editors and two female chief editors have a migrant background according to the definition of the Federal Statistical Office. That means that they themselves or at least one parent was born with non-German nationality.

The nationalities represented in the range of the editors-in-chief are Austrian, Luxembourgish, Danish, Dutch, Irish, Italian, Romanian and Greek. Of the few editors-in-chief with a migrant background, the majority belong to immigrant groups that are not coded as "foreign" in public discourse. There is not a single person among them who has a non-European origin.

Therefore, the editors-in-chief of the major German media outlets show - for a society that has officially considered itself as an immigration country for at least two decades - an homogeneity on an astonishing scale. Meaning: visible minorities are excluded.

The NdM has written to 126 editors-in-chief by e-mail, who work in 122 editorial offices of regional and national media with the widest reach. The response rate was extraordinarily high: 90 respondents replied (71%). Almost all editors-in-chief stated whether or not they had a migrant background. This can also be traced from publicly available sources.

 

Complete Study (German only) to Download (PDF)