Stellungnahme, 20. September 2021

Debatte statt Kampagne

Statement zur Kontroverse um Nemi El-Hassan

Statement der Neuen deutschen Medienmacher*innen zur Kontroverse um Nemi El-Hassan: Eine Gelegenheit für Aufklärung geht verloren.

Medien, zunächst die Bild-Zeitung, berichteten über die Teilnahme der Journalistin Nemi El-Hassan an einer antisemitischen Kundgebung (Al-Kuds Demonstration). Das ist inakzeptabel, da gibt es nichts schön- oder kleinzureden. Es ist angemessen, dass sich Nemi El-Hassan erklärt und entschuldigt hat.

Außerdem suggerieren „Bild” und „Welt” in der Berichterstattung der letzten Tage, dass Nemi El-Hassan Islamistin sei und den gewaltbereiten Islamismus verharmlose.* Für diese Vorwürfe liefern sie nicht annähernd ausreichende Belege. Stattdessen sind die Anschuldigungen irrational und durchdrungen von Rassismus. Der Hass und das Misstrauen, die Nemi El-Hassan und anderen Kolleg*innen of Color daraufhin entgegenschlagen, sind besorgniserregend.

Die „Islamismus-Kampagne” einzelner Medien führte dazu, dass eine notwendige gesamtgesellschaftliche Debatte über Antisemitismus im Keim erstickt wurde. Eine Gelegenheit für Aufklärung geht verloren.

Antisemitismus ist nicht nur eine Frage von individuellem Verhalten oder historischen Ereignissen, sondern – ebenso wie Rassismus – ein tief sitzendes, strukturelles Problem unserer Gesellschaft, das es in all seinen Ausprägungen zu bekämpfen gilt. Im ersten Schritt, indem er erkannt und benannt wird. Antisemitische Erzählungen sind auch, aber nicht vornehmlich, ein Problem von Migrant:innen oder Muslim:innen. Gleichzeitig schützt die Betroffenheit von Rassismus Menschen nicht davor, selbst Rassismen oder Antisemitismus zu befördern. 

Es täte unserer Gesellschaft gut, sachlich darüber zu diskutieren. Noch ist Zeit, die Debatte wieder aufzunehmen. 

20. September 2021

 

* Anmerkung der Verfasser*innen:

Der Chefredakteur der Zeitung „Die Welt“, Ulf Poschardt, legt Wert auf die Feststellung, dass „Die Welt“ Nemi El-Hassan nicht vorwirft, „Islamistin“ zu sein, wie es in einer früheren Fassung dieses Textes hieß. Stattdessen hatte „Die Welt“ El-Hassan „fehlende Distanz zu Islamisten“ sowie „einen problematischen Umgang mit potenziell islamistischen Akteuren“ unterstellt. Den Text haben wir (gern) entsprechend geändert. 

1. Oktober 2021