Eine Untersuchung über Dominanz und Marginalisierung in Rundfunkräten und was dagegen hilft
Rundfunkräte sollen die Vielfalt der Gesellschaft in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tragen. Doch diesem Anspruch werden die Aufsichts- und Kontrollgremien der zwölf öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht gerecht. Zum ersten Mal haben wir erhoben, wie gut oder schlecht verschiedene gesellschaftliche Gruppen in den Gremien vertreten sind. Unsere Untersuchung „Welche Gesellschaft soll das abbilden? Mangelnde Vielfalt in Rundfunkräten und was dagegen hilft“ zeigt: Rundfunkräte schließen große Teile der Gesellschaft aus. Die Studie finden Sie barrierefrei online auf mediendviersitaet.de und als barrierefreies PDF zum Download.
Was wir herausgefunden haben
1. Rundfunkräte sind oft nur so staatsfern wie sie unbedingt müssen.
Trotz des Gebots der Staatsferne stellen Landtagsabgeordnete, Regierungsmitglieder und -mitarbeiter*innen sowie Kommunalvertreter*innen in allen Rundfunkräten die größte Gruppe. Bei durchschnittlich mehr als jedem vierten Rundfunkratsmitglied (27,1 Prozent) handelt es sich um eine*n staatliche*n oder staatsnahe*n Akteur*in. Die Aufsichtsgremien von BR, Deutschlandradio und ZDF schöpfen das verfassungsrechtlich zulässige Maximum von einem Drittel staatsnaher Mitglieder voll aus. Der Rundfunkrat der Deutschen Welle liegt mit 41 Prozent sogar darüber.
2. In Rundfunkräten sitzen vor allem etablierte Gruppen.
Neben Vertreter*innen aus Politik finden sich in Rundfunkräten vor allem Repräsentant*innen aus Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innenverbänden sowie den beiden staatlichen Kirchen. Zusammen stellen sie über die Hälfte (56 Prozent) der insgesamt 542 Mitglieder. Ihre Dominanz zeigt sich auch an der starken Ausdifferenzierung. Selbst kleinere Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sind häufig mit eigenen Sitzen vertreten.
3. Rundfunkräte schließen große Teile der Gesellschaft aus.
Gesellschaftlich benachteiligte Gruppen werden in Rundfunkräten kaum oder gar nicht repräsentiert. Menschen mit Behinderung sind lediglich in sieben, LSBTIQ*in sechs, Muslim*innen in vier und Rom*nja und Sinti*zze nur in einem von insgesamt zwölf Gremien vertreten. Für viele weitere Gruppen wie zum Beispiel Schwarze Menschen, Jesid*innen, Kurd*innen, Geflüchtete, Russland- oder Türkeideutsche existieren in keinem Rundfunkrat eigene Sitze. Sie müssen sich im besten Fall gemeinsam einen Sitz für „Migration” oder „Ausländer” teilen.
4. Geschlechtergerechtigkeit gibt es nur mit verbindlichen Regelungen
Mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von 44 Prozent herrscht in Rundfunkräten ein einigermaßen ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Grund hierfür sind verbindliche Vorgaben in den jeweiligen Gesetzen und Staatsverträgen. Wo diese fehlen oder Schlupflöcher gelassen wurden, profitieren nach wie vor Männer.
5. Rundfunkräten fehlt es an jungen Perspektiven
Mit einem Durchschnittsalter von 57,8 Jahren sind alle untersuchten Gremien stark überaltert. Fast die Hälfte der Rundfunkratsmitglieder ist älter als 60 Jahre. Auf jede Person unter 40 kommen durchschnittlich mehr als zwei, die älter sind als 70. Stimmen von Menschen, die jünger sind als 35, fehlen in vielen Gremien komplett.
6. Manche Rundfunkratsmitglieder sind privilegierter als andere.
Gute Rundfunkarbeit ist arbeitsintensiv. Ein Pensum von 30 Sitzungen im Jahr oder mehr plus entsprechende Vorbereitungszeit ist keine Seltenheit. Dabei herrscht zwischen den einzelnen Rundfunkrät*innen ein deutliches Ressourcenungleichgewicht. Während Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Kirchen häufig durch eigene Mitarbeiter*innen oder ganze Büros bei der Arbeit unterstützt werden, müssen andere die ehrenamtliche Arbeit im Gremium neben ihrem Hauptjob nach Feierabend schultern. Dies führt zu einer Machtverschiebung im Gremium, die insbesondere Vertreter*innen marginalisierter Gruppen und ehrenamtlicher Organisationen aus der Zivilgesellschaft stark benachteiligt.
7. Rundfunkräten fehlt es an Transparenz und Öffentlichkeit.
Viele Rundfunkrät*innen klagen über fehlendes öffentliches Interesse für ihr Engagement. Das liegt auch daran, dass viele Gremien ihre Arbeit kaum oder nur schlecht nach außen kommunizieren. Ebenso mangelt es bei Gesetzesänderungen, die Rundfunkräte betreffen, häufig an Transparenz: Über wichtige Fragen wie die Aufnahme neuer Organisationen, Aufwandsentschädigungen oder Bestimmungen zur Geschlechtergerechtigkeit entscheiden in den meisten Fällen Regierungsbeamt*innen, ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die Verabschiedung der Gesetzesvorschläge durch die Parlamente geschieht oft ohne Debatte im Plenum. Beides widerspricht dem demokratischen Anspruch der Gremien und erschwert besonders die Teilhabe gesellschaftlich benachteiligter Gruppen.
8. Rundfunkräte können flexibel sein – sind es aber oft nicht.
Die Arbeit in einem Rundfunkrat mit bis 74 Mitgliedern wirkt häufig schwerfällig und wenig ökonomisch. Die Erfahrungen einiger Gremien zeigt aber auch: Repräsentation möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen einerseits und schlanke, effiziente Gremienarbeit andererseits sind gut möglich. In einigen Rundfunkräten wird ein Teil der Plätze nach jeder Amtszeit neu vergeben. Anderswo einigen sich mehrere Organisationen auf eine*n Vertreter*in, wechseln sich nach einer bestimmten Zeit ab oder werden ausgelost.
9. Rundfunkrat ist nicht gleich Rundfunkrat.
Einige Gesetzgeber*innen sind in den vergangenen Jahren wichtige Schritte in Richtung Vielfalt und faire Repräsentation gegangen (zum Beispiel Radio Bremen, SWR und ZDF). Anderswo kommen politische Entscheider*innen den Forderungen nach Reformen nicht nach und verharren im Status Quo.
10. Mehr Vielfalt ist möglich.
In Rundfunkräten existieren zahlreiche Modelle, mit denen sich unterschiedlichste gesellschaftlichen Gruppen abbilden lassen. Gerechte Repräsentation scheitert in der Regel weder am Platz im Gremium noch am Organisationsgrad der Betroffenen. Sie scheitert am fehlenden politischen Willen.
Was die Untersuchung umfasst
Barrierefreie Informationen zu Repräsentation und Diversität
Detaillierte Angaben zu allen zwölf Rundfunkräten
Expert*inneninterviews
Ansprechpartner*innen in Rundfunkräten
Was wir empfehlen
1. Mehr Vielfalt.
Rundfunkräte müssen Gremien der gesamten Gesellschaft sein. Gesetzgeber*innen sollten deshalb damit aufhören, großen Teilen der Gesellschaft den Zugang zu verwehren und ihnen Sitze sowie Stimmen vorzuenthalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk arbeitet genauso beispielsweise für Eingewanderte, LSBTIQ*, Menschen mit Behinderung, Rom*nja und Sinti*zze, Schwarze Menschen, Russlanddeutsche, Muslim*innen, wie für Bäuer*innen und Museumsverbände. Schließlich zahlen sie alle ihren Rundfunkbeitrag.
2. Mehr Differenzierung.
Rundfunkratssitze für „Ausländer” oder „Migration/Integration” sind besser als gar keine, aber sie scheren die Menschen über einen viel zu groben Kamm. LSBTIQ*-Personen, Menschen mit Einwanderungsbiografie oder Behinderung sind keine homogenen Gruppen. Wenn es für Jäger*innen und Heimatvertriebene einen Platz im Gremium gibt, warum dann nicht auch für trans* Menschen, Kurd*innen oder Fridays for Future? Das ist übrigens auch die Meinung des Bundesverfassungsgerichts, das die Politik explizit auffordert, in den Rundfunkräten auch kleinen Gruppen eine Stimme zu geben. Es geht um größtmögliche Vielfalt und nicht nur darum, dass Organisationen entsprechend ihrer Größenverhältnisse vertreten sind.
3. Mehr Staatsferne.
Die staatliche Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern ist der Grundgedanke von Rundfunkräten. Warum stellen staatliche und staatsnahe Akteur*innen in Rundfunkräten dann überall die mit Abstand größte Gruppe unter den Mitgliedern? Landtagsabgeordnete und Staatssekretär*innen sollten in Rundfunkräten nicht stärker vertreten sein als andere gesellschaftliche Gruppen.
4. Weniger Dominanz.
Keine Frage: Kirchen, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind wichtige Akteur*innen der Gesellschaft. Aber deshalb müssen sie nicht vier-, fünf- oder sechsfach in einem Rundfunkrat vertreten sein. Zumal anderen Gruppen oft aus vermeintlichen „Platzgründen” die Teilhabe verweigert wird. Dabei ist es genau umgekehrt: Die begrenzte Zahl an Sitzen ist das beste Argument für mehr Parität in Rundfunkräten.
5. Mehr Flexibilität.
Rotierende Sitze, Losverfahren, Plätze, für die sich Organisationen nach ein oder zwei Amtszeiten neu bewerben können: Es existieren zahlreiche Modelle, um auch kleineren gesellschaftlichen Gruppen Teilhabe zu ermöglichen, ohne die Gremien ins Uferlose wachsen zu lassen. Sie müssen nur genutzt werden.
6. Mehr Diversität.
Nach Personen unter 40 kann man in den meisten Rundfunkräten genauso lange suchen wie nach Menschen mit Rassismus- oder Armutserfahrung. Echte Perspektivenvielfalt gibt es so nicht. Entsendeorganisationen sollten angehalten werden, bei der Auswahl ihrer Vertreter*innen auch Mitglieder unterschiedlichen Alters, Herkunft, Religion und sexueller und geschlechtlicher Identität und Behinderung zu berücksichtigen. Die Erfahrungen bei der Gleichstellung von Frauen haben gezeigt, dass nur verbindliche Regelungen funktionieren.
7. Mehr Fairness.
Gute Arbeit im Rundfunkrat ist zeitaufwändig. Während Abgesandte aus Politik, Kirchen oder Wirtschaftsverbänden bei der Tätigkeit in ihren Institutionen oft von ganzen Teams unterstützt werden, haben Vertreter*innen ehrenamtlich organisierter Organisationen diese Privilegien nicht. Dieser ungleiche Zugang zu Ressourcen führt zu einem Machtungleichgewicht im Gremium. Damit allseits gut informierte Entscheidungen getroffen werden können, braucht es Mechanismen, die den Zugang zu Ressourcen erleichtern. Ideen hierfür gibt es viele.
8. Mehr Expertise.
Gute Arbeit im Rundfunkrat braucht fachliche Expertise zu den unterschiedlichsten Themen. Nicht immer kann diese von den Mitgliedern allein eingebracht werden, deshalb hilft Unterstützung von außen. Im Plenum und in den Ausschüssen sollte die Anhörung von externen Expert*innen und Interessenvertreter*innen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein. Das gilt besonders für alle Themen, die Gruppen betreffen, die im Gremium nicht vertreten sind. Zudem sollte neuen Mitgliedern der Einstieg mittels Seminaren bspw. zur Struktur und Funktion der Öffentlich-Rechtlichen erleichtert werden.
9. Mehr Transparenz.
Rundfunkräte sind Vertretungen unserer Gesellschaft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Doch die Gesellschaft bekommt davon kaum etwas mit. Das liegt auch an fehlender Offenheit und mangelnder Kommunikation der Gremien nach außen. Deshalb sollten Sitzungen in aller Regel für die Öffentlichkeit zugänglich sein – selbstverständlich inklusive Livestream im Netz. Ausnahmen sollten auf wirklich sensible Themen etwa zu Vertrags- und Personalfragen begrenzt werden. Statt irgendwo auf der Website als PDF-Download versteckt sollten die Ergebnisse der Sitzungen und Ausschüsse zeitgemäß aufbereitet, gut zugänglich und barrierefrei präsentiert werden.
10. Mehr Demokratie.
Unsere Gesellschaft verändert sich – die Zusammensetzung von Rundfunkräten hingegen kaum. Gesetze und Staatsverträge sollten regelmäßig evaluiert und den gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Dabei sollten unterschiedliche gesellschaftliche Akteur*innen angehört und mit einbezogen werden. Dazu gehört auch, sie rechtzeitig über Beteiligungsmöglichkeiten und Termine zu informieren. Die Debatte darüber, wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrolliert – und wer nicht – gehört in die Öffentlichkeit und nicht hinter die verschlossenen Türen von Staatskanzleien.
Wer wir sind
Die Untersuchung „Welche Gesellschaft soll das abbilden? Mangelnde Vielfalt in Rundfunkräten und was dagegen hilft.“ wurde durchgeführt von den Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Beteiligte Organisationen sind Leidmedien (Sozialhelden e. V.), der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), die MaLisa Stiftung, ProQuote Medien, und die Queer Media Society. Weitere Informationen zu unseren Organisationen und Unterstützer*innen finden Sie auf mediendiversitaet.de/partnerinnen.