Von Judyta Smykowski
Zu oft entscheiden in Redaktionen nichtbehinderte Journalist:innen, wie über behinderte Menschen berichtet wird. Sie prägen das Bild von Behinderung. Das Problem: Vorurteile und Berührungsängste sind Teil der Berichterstattung. Immer wieder verkennen Medienschaffende die damit einhergehende Verantwortung. Wenn wir Journalist:innen in allen Berichten und Artikeln über Menschen mit Behinderung die Diagnose wegließen - was bliebe übrig von der Geschichte? Ist die Behinderung der ausschlaggebende Punkt, warum wir berichten?
Hoffentlich nicht. Denn: eine Behinderung ist nur ein Teil der Identität einer Person. Sie kann einen spannenden Beruf, ein Ehrenamt oder eine interessante Familiengeschichte haben. Gleichzeitig geht es nicht darum, die Behinderung zu verheimlichen oder zu beschönigen. Aktuell gibt es noch zu viele Berichte, in denen nur die Frage gestellt wird, wie es sich mit Behinderung xy lebt. Der Ansporn sollte sein, weg von emotionalisierenden Storys hin zu konstruktiven Geschichten zu gehen, an die die gesamte Gesellschaft anknüpfen kann.
Menschen leiden nicht an einer Behinderung, sondern leben mit ihr
Die Berichterstattung über behinderte Menschen fußt auf den in der Gesellschaft verbreiteten Blicken auf Behinderung. Besonders kommt der bemitleidende oder bewundernde Blick vor. Doch Mitleid oder Bewunderung sind aus Eigensicht der Protagonist:innen häufig fehl am Platz. Denn häufig reicht es schon, mit einer Behinderung zu leben und alltägliche Dinge zu tun, um eine der beiden Reaktionen hervorzurufen.
Ein Problem marginalisierter Gruppen ist auch, dass Aussagen von Einzelnen häufig auf die gesamte Gruppe übertragen werden. Eine Person kann sich nach einem Unfall ‘an den Rollstuhl gefesselt’ fühlen, aber es bedeutet nicht, dass dies für alle Rollstuhlfahrer*innen gilt. Für viele ist ein Rollstuhl vor allem die Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Trotzdem hält sich diese Floskel im Sprachgebrauch hartnäckig.
Auch “An einer Behinderung leiden” ist ein gängiger Ausdruck in der deutschen Sprache. Dabei leiden die Menschen vielleicht gar nicht, sondern leben mit der Behinderung. Vielmehr leiden sie unter Barrieren und Diskriminierung.
Hier sollten Journalist*innen viel öfter in der Berichterstattung anknüpfen: Nicht nur berichten, welche Diagnose, Lebenserwartung oder etwaige Leiden eine Person mit Behinderung hat, sondern gerade auch, auf welche physischen und gesellschaftlichen Barrieren sie trifft und was wir als Gesellschaft tun können, um diese Barrieren aufzubrechen.
Behinderung beim Namen nennen
Behinderung sollte beim Namen genannt werden. Begriffe wie “Handicap” oder “Besondere Bedürfnisse” sind der Versuch, die Unsicherheiten zu verschleiern, obwohl doch gerade Journalist*innen das Rüstzeug in der Hand haben, diese Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen: recherchieren, die Protagonist*innen zu Wort kommen zu lassen und nach Eigenbezeichnungen fragen.
In der Bildsprache ist als Symbol für Behinderung der Rollstuhl präsent. Wahlweise mit nichtbehindertem Model, das man leicht an den zu hohen Knien im Sitzen erkennt oder gleich ohne Person, inszeniert unter oder vor einer Treppe.
Wir brauchen authentische Bilder von behinderten Menschen, die auch nur entstehen können, wenn sich Fotograf:innen und die Menschen, die abgelichtet werden, austauschen.
Perspektiven wahrnehmen und sich selbst zurücknehmen
Sensibel mit der Sprache und Bildsprache umzugehen reicht nicht. Die Forderungen nach Diversität in den Redaktionen werden immer lauter, doch Menschen mit Behinderung werden in diesem Diskurs oft nicht mitgemeint, was nicht länger hinnehmbar ist. Diversität muss endlich alle marginalisierten Gruppen einschließen.
Es ist Besserung in Sicht: die jungen Portale der Medienhäuser wie funk oder ze.tt machen Diversität häufiger zum Thema. Doch es mangelt an nachhaltigen Programmen für die Nachwuchsförderung. Es muss Menschen in den Redaktionen geben, die Zugänge schaffen für junge Kolleg:innen mit Behinderung. Das fängt bei der Rampe vor dem Redaktionsgebäude an, aber muss vor allem in der Bereitschaft münden, die Perspektiven wahrzunehmen und sich selbst zurückzunehmen.
Judyta Smykowski leitet die Redaktion vom Online-Magazin und Podcast “Die Neue Norm” und berät im Rahmen ihrer Arbeit bei Leidmedien.de Journalist:innen und Filmschaffende zur klischeefreien Sprache und Erzählweisen zu behinderten Menschen. Foto: Alisa Sonntag