Das Narrativ
Migrant*innen, insbesondere Geflüchtete, seien der Hauptgrund für den Mangel an Sozialwohnungen in Deutschland. Nach dieser Darstellung wird argumentiert, dass seit 2015 Geflüchtete vermeintlichsämtliche Sozialwohnungen beanspruchten, wodurch Personen ohne Fluchthintergrund so gut wie keine Sozialwohnungen kriegen würden.
Die Argumentation
Geflüchtete seien der Hauptgrund für Wohnungsmangel in Deutschland, sie beanspruchten seit 2015 sämtliche Sozialwohnungen. Zur Untermauerung dieser Behauptung wird häufig ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der neu gebauten Sozialwohnungen in einer Stadt und der Anzahl der Geflüchteten gezogen. Wenn die Zahl der Geflüchteten höher ist als die Zahl der neu gebauten Sozialwohnungen, wird aus einer angeblichen Kausalität geschlossen, dass alle Sozialwohnungen von Geflüchteten belegt sein müssten. Denn geflüchtete Personen seien angeblich grundsätzlich nicht erwerbstätig und verfügten daher nicht über ausreichendes Einkommen, um auf dem freien Markt eine Mietwohnung zu finden. Daher zögen sie allesamt in die Sozialwohnungen ein.
Keywords, die ein Hinweis auf das Narrativ sein können
‘Flüchtlinge suchen Wohlstand, keinen Schutz’ I ‘Wirtschaftsflüchtlinge’ I ‘Für die [Geflüchteten] baut ihr’ I ‘Für die Ausländer werden die Sozialwohnungen gebaut’
Gegenargumente
Es fehlen Belege dafür, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte, insbesondere Geflüchtete, der Hauptgrund für Wohnungsmangel in Deutschland sind.
Deutschland verzeichnete 2022 einen Rückgang des Bestands an Sozialwohnungen auf 1,09 Millionen, was einem Rückgang von etwa 41.000 Wohnungen im Vergleich zu 2020 entspricht.1 Dies setzt den langjährigen Trend des kontinuierlichen Rückgangs seit den 1990er-Jahren fort, als der Bestand an Sozialwohnungen noch bei schätzungsweise 2,87 Millionen lag.2 Die zunehmende Knappheit an bezahlbarem Wohnraum betrifft insbesondere Geringverdiener*innen, unabhängig von ihrer Herkunft, und ist nicht erst seit dem Anstieg der Geflüchtetenzahlen ein Problem.3 Besonders in Ballungszentren, in denen auch viele Geflüchtete aufgrund der Arbeitsmöglichkeiten, Infrastruktur und Zukunftsperspektiven leben, wird der Mangel an Sozialwohnungen deutlich spürbar.4 Einwanderung belastet die angespannte Situation zwar zusätzlich, weil mehr Menschen um Wohnungen konkurrieren, das lässt jedoch keine ausschließliche Begründung zu. Konkrete Zahlen, wie viele Geflüchtete in Sozialwohnungen leben, liegen nicht vor. Daher sind die Behauptungen in diesem Kontext unbelegt.
Gibt es zu wenig Sozialwohnungen, die dem Bedarf nicht gerecht werden, kann das Konkurrenzdebatten fördern. Dadurch wird ein Sozialneid gegenüber Geflüchteten geschürt, obwohl alle Bevölkerungsgruppen unter dem Wohnraummangel leiden - geflüchtete Menschen besonders akut.5 Asylsuchende haben eingeschränkte Chancen auf eigene Wohnungen, z. B. aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis oder befristeter Aufenthaltsgenehmigungen.6 Der Wohnraummangel führt dazu, dass selbst anerkannte Geflüchtete oft lange Zeit in Sammelunterkünften bleiben müssen.7 Von einer Bevorzugung geflüchteter Menschen auf dem Wohnungsmarkt kann daher nicht die Rede sein. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von November 2023 zeigt zudem, dass 54 Prozent der von 2013 bis 2019 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten nach sechs Jahren in Deutschland erwerbstätig sind. Ihre Erwerbstätigkeit bedeutet, dass sie aktiv zum Sozialsystem beitragen und ihr Gehalt auch über den Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen liegen kann.8
Ausführlichere Informationen zu Geflüchteten auf dem Wohnungsmarkt |
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Weitere Faktenchecks zu diesem Thema |
1 Statista (2023): Bestand der Sozialmietwohnungen in Deutschland in den Jahren von 2006 bis 2022 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
2 Philipp Deschermeier, Anna-Maria Hagenberger, Ralph Henger (2023): Wie groß ist der Bedarf an neuen Sozialwohnungen, S. 2 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
3 Hein de Haas (2023): Migration – 22 populäre Mythen und was wirklich dahinter steckt, S. 196
4 Förderverein PRO ASYL e.V., Amadeu Antonio Stiftung, IG Metall Vorstand, Gemeinnützige Respekt! Kein Platz für Rassismus GmbH, ver. di Bundesvorstand (2017): Pro Menschenrechte Contra Vorurteile, S. 25 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
5 Johanna Herzing (2015): Konkurrenz nährt Sozialneid auf Flüchtlinge (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
6 Zarenga GmbH (2022): Sozialwohnung erhalten: Alles rund um den WBS (Wohnberechtigungsschein) (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
7 Boris Kühn und Julian Schlicht (2023): Kommunale Unterbringung von Geflüchteten – Probleme und Lösungsansätze (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)
8 Herbert Brücker, Philipp Jaschke, Yuliya Kosyakova und Ehsan Vallizadeh (2023): Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich, S. 1 (zuletzt aufgerufen am 04.04.2024)